Aus Eugen Egners Püppchenstudio
Der transsylvanische Kiefer
Der Fall des transsylvanischen Kiefers würde nie geklärt werden, so viel stand fest. Kommissar Kleb und ich beschlossen, unseren Erfolg angemessen zu feiern. Wir kannten einander ursprünglich vom Nordpol her, genauer: vom Vergolden des Nordpols, und wir hatten schon einiges gemeinsam gefeiert. Es war Hochsommer, der Himmel grüßte am Firmament. Wir hätten in die Berge fahren können, aber man konnte leider nicht mehr in die Berge fahren, weil keine mehr übrig waren. Nachdem ein Bekannter von mir (versehentlich, wie er noch heute betont) auch den Großglockner ruiniert hatte, galten Berge offiziell als ausgestorben. In freier Natur kamen sie nicht mehr vor, es gab lediglich eine kommerziell geführte Wanderbergschau, die das Land bereiste und die letzten überlebenden Exemplare vorführte. Diese Schau besuchten wir, um zu feiern. Ich räume bereitwillig ein, daß „feiern“ wohl ein zu starker Begriff für das ist, was wir taten. Eigentlich tranken wir pro Person nur ein irrsinnig teures Glas Wein und schlichen verdrossen zwischen den ausgestellten Bergen herum. Der Bergführer rief: „Meine Damen und Herren, hier sehen Sie den Himalaya (Dritter von links) mit seinem gallertartigen Gipfel.“
Ohne hinzusehen, gingen wir weiter. Es schien geradezu unvermeidlich, daß die ausgestellten Berge uns an das (seinerzeit noch gebirgige) Transsylvanien erinnerten. Zwangsläufig kamen wir auf unseren dortigen Aufenthalt und damit auch auf den Fall des transsylvanischen Kiefers zu sprechen. Etwas Neues fiel uns zu dem Thema nicht ein, also wiederholten wir mehrmals alles, was wir zu dem Thema schon gesagt hatten. So verging die Zeit.
„Wir hatten eine gute Zeit in Transsylvanien“, stellte der zu nachträglicher Verklärung neigende Kleb fest. Ich war nicht geneigt, irgendetwas zu beschönigen, und gab zu bedenken: „Aber die Sprache! Das einzige, was ich verstand, war ‚Tu schnoist‘!“
„Nicht ausgeschlossen, daß das Sprachproblem für unser Scheitern verantwortlich war“, meinte Kleb. Da entdeckte ich ein Zelt, in dem, wie ein Transparent verhieß, „Wunderbare Erscheinungen in der Natur“ gezeigt wurden. Wir waren uns darin einig, daß die Formulierung ein Unsinn war: „Entweder ist etwas ein Wunder oder eine natürliche Erscheinung.“ Aus purer Neugier betraten wir das Zelt. Das erste Exponat war eine Tafel, auf der in großen Lettern geschrieben stand: „Wunderbare Erscheinungen in der Natur sind entweder große Löcher im Boden oder herumliegende Riesenklumpen (nicht selten vom Himmel gefallen).“ Mit ernsten Mieten schritten wir weiter, um auf der zweiten Tafel zu lesen: „Die Ameisen wissen nichts von der christlichen Heilslehre.“ Ein weiteres „Naturwunder“ hieß „Plattenspieler mit integriertem Plattenspieler (hochfertig)“. Wir wurden immer nachdenklicher.
„Was aber, wenn der Mensch eine Scheibe wäre?“ sinnierte ich, als Kommissar Kleb unvermittelt aufschrie. Er hatte ein Exponat entdeckt, das, wie ich – nun ebenfalls aufschreiend – sah, als „Transsylvanischer Kiefer“ ausgewiesen wurde. Mit so etwas hatte niemand rechnen können. Vielleicht, dachte ich, war es ein Hinweis des Schicksals darauf, daß dieser Fall nun doch noch gelöst werden konnte? Kleb riß die Dienstmarke aus der Tasche und rannte los. Wohin, das weiß ich heute noch nicht. Inzwischen bin ich längst in einem ganz anderen Bereich tätig und arbeite an einem realistischen Gegenentwurf zur Finanzkrise für Mädchen und Jungen gleichermaßen.
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