Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Uwe spritzt
Es ist ja dann doch nicht so, daß es ausschließlich schlechte Nachrichten gäbe, und es hat mich sehr gefreut, von Uwe Tellkamp („Der Stasi-Turm“) zu hören; wie es mich genauso gefreut hat, daß sich der Suhrkamp-Verlag gezwungen sah, sich von seinem Star-Autor zu distanzieren, der so überraschenderweise nicht der Mann der Nuancen und Reflexion ist, dem Springer damals so begeistert um den Hals fallen mußte, weil er, Tellkamp, „den ultimativen Roman über die DDR“ verfaßt habe, „diese lächerliche sowjetische Satrapie auf deutschem Boden. … So klar antikommunistisch, so voller schneidender Verachtung für das Proleten- und Kleinbürgertum, das 40 Jahre lang im Ostteil dieses Landes sein Gift verspritzen durfte, hat noch keiner, der aus diesen Breiten kommt, den Stab gebrochen.“ Knapp zehn Jahre später, in denen der Buchpreisträger hauptsächlich an einer Fortsetzung seines „Turms“ gehockt hat – sie soll im Herbst 2019 erscheinen –, gilt Tellkamps Verachtung dem hiesigen System und seiner Presse, den sog. Wirtschaftsflüchtlingen und dem Islamerer und also allen, die nicht Pegida sind. Und plötzlich steht er an der Seite ebenjenes Kleinbürgertums, über das er einst so schneidend den Stab gebrochen hat. Wie kommt’s?
Zwei Möglichkeiten. Die eine: Der Großbürger Tellkamp, der mit dem „Turm“ ja nicht bloß Antikommunismus betrieb, sondern den westdeutschen Bildungsbürgerresten ein einwandfreies Identifikations- und Verhaltensangebot machte: Einigeln!, war bloß ein solcher unter den Bedingungen einer lächerlichen sowjetischen Satrapie, wo es gereicht haben mag, Thomas (und nicht Heinrich) Mann zu lesen, um sich wie jenes gute alte Deutschland vorzukommen, ohne das es die sowjetische Satrapie gar nicht hätte geben müssen. Die andere: Der unanfechtbar großbürgerliche Schriftsteller merkt, daß auf die Deutsche Demokratische Republik als Gottseibeiuns zwar kein Verzichten ist, Abrechnungen mit dem üblichen DDR-Unrecht (vgl. z.Z. „Das schweigende Klassenzimmer“) aber Routine geworden sind, während das Milieu ganz andere Sorgen hat, nämlich fundamental kleinbürgerliche der Konkurrenz und des Abstiegs.
„Und je ärmer sie wurde, um so stärker betonte sie ihre gesellschaftliche Herkunft, mit anderen Worten: je härter sie ihre materielle Niederlage empfand, um so bewußter wurde sie ihrer ideellen Überlegenheit. Diese ideelle Überlegenheit bestand vor allem aus Unwissenheit und aus der natürlichen Beschränktheit des mittleren Bürgertums.“ Horváth, 1930
In beiden Fällen landen wir also beim Kleinbürgertum, dessen zentrale Affekte Neid auf die da oben und Ekel vor denen da unten sind. Der Großbürger mag die „Primitivos“ (so einst der legendäre Springer-Mann und Regierungssprecher „Pepe“ Boenisch) zwar verachten, er tut dies aber freilich nicht aus Angst. Der Kleinbürger dagegen, eingeklemmt zwischen den Depravierten und den Arrivierten, behauptet sich, indem er die Depravierten aus Angst haßt und die Arrivierten aus Haß fürchtet, wenn er sie nicht sogar bewundert, was sich im Seelenhaushalt besser verbuchen läßt. Nun ist Tellkamps Arriviertenstatus kein besonders trittfester, dafür schreibt Tellkamp zu langsam, und die Fortsetzung seiner DDR-Saga wird nicht mehr in der DDR spielen, und das interessiert ja keinen. Der Status seines Dresdner Gesprächspartners Durs Grünbein dürfte ökonomisch noch sehr viel prekärer sein, aber kleinbürgerlich ist Grünbein nicht, denn er käme (wie etwa Handke) gar nicht auf die Idee, seine Künstler- und Intellektuellenexistenz als irgend konkurrente zu sehen. Ihr Appeal beruht ja gerade darauf, daß sie es nicht ist.
Tellkamp dagegen hat mal mustergültig den Markt bedient. Das hat ihm gefallen, doch er ahnt, daß ihm das kein zweites Mal gelingen wird, es sei denn, er trüge einer neuen Nachfrage Rechnung. Bei Suhrkamp ist er da zwar an der falschen Adresse; aber der Typ des „auf Touren gebrachten Kleinbürgers“ (Adorno) wird erstens nicht aussterben und muß zweitens Tellkamps Schinken ja nicht lesen. Auch der „Turm“ war damals zuallersterst: ein Weihnachtsgeschenk.
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