Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Und fertig
Es gibt eine Aufnahme von Hitler, auf der er, noch vor der Machtübernahme, erschöpft eine seiner Massenkundgebungen verläßt, nach welchen ihn sein Adjutant abschirmt mit den u.a. von Joachim Fest zitierten Worten: „Lassen Sie ihn doch in Ruhe, sehen Sie nicht, der Mann ist fertig!“ In Ruhe lassen konnte Sandra Maischberger den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten am Mittwoch abend freilich nicht, und allerdings war Chulz auch bereits vor seiner Kundgebung erschöpft; und so grau und trostlos, wie er da saß und fahrig Maischbergers Auflockerungsfragen beantwortete: Ja, er könne schon mit Geld umgehen, er brauche ja auch nicht viel, er kaufe allenfalls Bücher usw. – tat er mir leid, weil das mir Teilzeit-Vortragskünstler so bekannt vorkam: Wenn mal wieder bloß acht Leute da sind, von denen nur drei bezahlt haben, und man etwas, das schon verloren ist, mit Haltung hinter sich bringen muß.
Der Mann war fertig, und es ist ganz ausgeschlossen, daß aus der sozialdemokratischen Kampagne noch was wird; zumal der SPD-Spot, Youtube hat ihn, vor Banalität geradezu schimmert. Nichts einfacher, als jetzt hämisch zu werden und der SPD ihren ständigen Verrat am kleinen (und sogar größeren) Mann vorzurechnen, den der halt nicht vergißt. In der Mai-„Konkret“ holte Kollege Florian Sendtner aber nun die April-„Konkret“ aus dem Jahr 1965 aus dem Archiv, wo Sebastian Haffner, damals ein bürgerlicher Linker, eine Lanze für das kleinere Übel brach: „Nichts ist leichter, als aus SPD-Reden und -Schriften der letzten Jahre entmutigende Zitate zusammenzustellen oder aus der Parteigeschichte entmutigende Episoden. (…). Nun gibt es auf der deutschen Linken eine Tradition, in solcher Lage lieber das größere Übel gewinnen zu lassen – 1925 lieber Hindenburg als Marx, 1932 lieber Hitler als Hindenburg. Man bestraft mit einer gewissen selbstquälerischen Schadenfreude die SPD dafür, daß sie nicht besser ist, als sie ist, und schlägt die Folgen in den Wind: ,Ist ja doch alles eins.’ Aber ist wirklich alles eins?“
„Komm! Die Rechnungen / sind geschrieben, / aus den Trompeten fährt Staub.“ Eich, 1964
Das findet der liebe Florian zum Beispiel nicht, denn wer SPD wähle, verhindere vielleicht vier weitere Jahre Merkel und damit die Nebenregierung des Parafaschisten Seehofer; wie überhaupt der Supereuropäer Chulz eine Bank wider die allüberall erstarkenden Nationalen sei. Eine Seite weiter rechnet Georg Fülberth zwar vor, daß auch mit dieser SPD kein Rechtstrend zu stoppen ist; aber, um einen klassischen Haffner-Satz zu kopieren: Das gibt zu denken. Ist ein gemildertes Hartz-IV-Regime, bei allen Verlogenheiten, nicht besser als ein ungemildertes? Ist die Scheißpartei SPD, wenn es darum geht, was nach Lage der Dinge in diesem Land möglich ist, nicht etwas weniger scheiße als die Scheißpartei CDU, schlimmstenfalls im Verbund mit der Oberscheißpartei FDP? Sollen wir, weil Revolution ja erst einmal nicht zu haben ist, mit den Revisionisten gehen, für die Revision überdies bloß heißt, die Depravierten, denen vom Euro immer nur der Cent bleibt, jetzt mit anderthalb Cent zu locken?
Für eine polemisch gemeinte Kolumne ist die Antwort: Ich weiß es nicht, keine recht passende; und glücklich vielleicht, wem der Rückzug auf die Maxime gelingt, daß Politik nicht gemacht, sondern exekutiert wird. Doch auch hier lauert Dialektik, denn wenn egal ist, wen man wählt, weil ja immer bloß der scheiß Standort gewinnt, dann könnten wir auch den wählen, der die Parteienkonkurrenz nutzt, um für irgendeinen und irgendeine eine Erleichterung herauszuholen, unabhängig davon, ob er nur etwas zurücknimmt, was er selbst ins Werk gesetzt hat.
Gottlob ist auf die SPD Verlaß; und hat ihr Chef bei Anne Will verlauten lassen, es sei nicht okay, wenn vor Bahnhöfen „unsere Frauen“ angegriffen würden. Das fand sogar der „Spiegel“ eklig; und wir können die Akte SPD mit der Feststellung schließen, daß die SPD noch da das größere Übel vorstellt, wo sie vorgibt, das kleinere zu sein. Und ich bin „SZ“-Abonnent und weiß, wovon ich rede.
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