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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Triumph des Willens

Vernunft, Disziplin, Pragmatismus, Präzision – nach einem Fernsehnachrufabend und einem Pressenachrufmorgen in Sachen Helmut („Schnauzbart“) Schmidt konnte einem schon der Kopf schwirren, wie die zuständigen Stellen annähernd kritiklos den „Oberleutnant der Nation“ (Süddeutsche Zeitung) als das „lebende Vorbild der Deutschen“ (ZDF) hochleben ließen; und freilich sehr zu Recht; denn niemand hat die Landsleute so mit ihrer „schwierigen Geschichte“ (Schmidt) versöhnt wie der Oberleutnant der Wehrmacht, präzise Macher und disziplinierte Verantwortungsethiker, für den Visionäre bekanntlich Patienten waren.

Helmut Schmidt, ein deutsches Leben: Als Kind mit Gewalt auf Disziplin getrimmt, das späterhin selbstmörderische Pensum mit dem Glauben an (und das Reden über) Pflicht, Vernunft und Sittlichkeit überhöhend, die Akten mit preußischem Grimm in die Urlaube schleppend. Als Personifikation der „sauberen Wehrmacht“ tat Schmidt, der Bildungsbürger aus gutem Hause, auch im Krieg nur diese seine Pflicht und war nach eigener Aussage (in der Doku „Lebensfragen“, bei Youtube) „in erster Linie Soldat“ und schon darum „Anti-Nazi“, der in Kategorien wie „Täter und Opfer“ nicht gedacht habe, schließlich: „Im Kriege ist in vielen Situationen das Denken ausgeschaltet.“ Und vorher womöglich auch schon, denn Schmidt meldet sich (was in den Nekrologen regelmäßig unterschlagen wird) trotz guten Klavierspiels und Bedenken in puncto Führer freiwillig zur Ostfront, weil er, eigenes Zitat, „nicht als Feigling“ gelten und ein Eisernes Kreuz haben will. Da gehen dann natürlich auch mal Dörfer in Flammen auf, denn „den Gegner“ habe man ja „nicht gesehen“. Ob man sagen könne, die Deutschen seien von Hitler verführt worden? will der Interviewer di Lorenzo da wissen: „Verführt von den Nazis, das würde ich unterschreiben. Jede Volksmasse ist verführbar.“

„Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. [...] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ Lafontaine, 1982

Schmidt meistert, unter strenger Umgehung des Dienstwegs, die Hamburger Sturmflut und hält ’68 und die Umwelt- und Anti-Akw-Bewegung für eine Verirrung verwöhnter, ungedienter Kinder. Der Nato-Doppelbeschluß, der einen auf Mitteleuropa begrenzten Atomkrieg zur Freude der USA denkbar macht, ist Schmidts Idee, die Rede von der „Nachrüstung“ dabei eine Lüge, denn die Aufstellung der sowjetischen SS 20 „stört nicht das atomare Gleichgewicht, sondern sie stellt es (gegen die luft- und seegestützten Mittelstrecken der Nato) erst her“ (Gremliza, 1983). Ziel dieser „Nachrüstung“ ist vielmehr die „Totrüstung“ (ders.) der UdSSR, und 30 Jahre später weiß die SZ-Nachruferin Roll, „daß der Nato-Doppelbeschluß richtig war auf dem Weg zur Wiedervereinigung“.

Die Ermordung des hochrangigen SS-Mannes Schleyer durch die RAF hat Schmidt sehr getroffen (Hanns-Martin-Schleyer-Preis 2013). Schmidt, stets wirtschaftsfreundlich, hat die unbequemen Reformen des pragmatischen Agendakanzlers Schröders vorausgedacht und ihm geraten, „das Notwendige auch dann zu tun, wenn es zunächst unpopulär ist“. Lange vor Schröder war es Schmidt gelungen, die SPD „abzuschneiden von den Traditionen der Arbeiterbewegung“ (Gremliza), er hat sie „auf den Hund gebracht“ (ders.), denn Solidarität hatte er „im Schützengraben“ (Schmidt) gelernt. Und deshalb galt: „Egal was Schmidt sagte, es galt“ (FAZ) und war der „Hamburger Pragmatiker für viele eine moralische Instanz“ (Tagesthemen), u.a. für die beim Finanzamt als Journalistin geführte Sandra Maischberger, die den Altkanzler wiederholt solo zu Gast hatte und deren servile Schülerzeitungsfragen („Ist Gauck ein besserer Präsident als Wulff?“) die ARD in einem Spezial noch einmal versammelte.

„Ohne Opfer wird dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein. Obsiegen kann in der Konfrontation mit dem Terrorismus nur, wer sich von ihm nicht einschüchtern läßt. Was hätte Deutschland von Helmut Schmidt gelernt, wenn nicht das? Berthold Kohler, FAS, 15.11.2015

Zum Schluß war Schmidt uralt und sein hohes Alter, wie sein ganzes Leben, ein „Triumph der Disziplin, des Willens“ (Roll). Rundum mithin „ein großer Deutscher“ (faz.net.) Ehre seinem Angedenken; seine Bundestagsreden waren klasse.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

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 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

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27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
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