Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Mit Eingriff
Nehmen wir an, ich säße an einem neuen Roman, und handlungsstiftendes Moment wäre die kurios, aber plausibel falsche Zustellung eines Briefs – wäre es da nicht sagenhaft, wenn am Donnerstag der frische „Freitag“ in meinem Briefkasten gesteckt hätte, ohne dass ich Abonnent noch Autor wäre, und zwar bloß, weil Postleitzahl und Hausnummer stimmten und die Titelschlagzeile lautete: „Der Gärtner wird zum Bock“? Und müssten mäkelige Lektorate („Wer glaubt denn so was!“) nicht spätestens dann klein beigeben, wenn sie erführen, dass der zur Schlagzeile gehörende Text von meiner lieben Kollegin und Freundin Kathrin Hartmann stammt? Die mich wegen der lustigen, von der Redaktion ausgedachten Zeile schon hatte anfunken wollen?
Die Antwort weiß, wie üblich, nur der Wind, aber Kathrins Text handelte von der Unmöglichkeit, hierzulande über Einschränkungen zugunsten von Natur und Zukunft auch nur zu sprechen (Veggie-Day etc.), ohne dass gleich alle „Verbotsstaat!“-Schnappatmung kriegen, und eröffnete den Schwerpunkt zum Thema „Öko-Diktatur? Ja bitte! Tempolimit, Flugverbot, Kohleausstieg: Hartes Eingreifen rettet den Planeten“; und dass am Abend Verkehrsminister Scheuer bei Illner das Recht des freien Bürgers auf Vollgas samt „drei Autos in der Garage“ verteidigte und am Freitag der Holger Steltzner in seiner FAZ gleich wieder gegen die „Klimaschutzreligion“ wütete, war dann kein Zufall, denn das ist ja Alltag.
Den kleinen Briefwechsel, der sich aus der „unerhörten Begebenheit“ (Goethe) entspann, schloss ich mit dem Hinweis, ich sei natürlich dafür, für die Diktatur nämlich, denn auf die „Vernunft“ (Kant) des konsumistisch deformierten Menschen kann man, wenn die Empirie etwas besagt, sowenig bauen wie auf die Freiwilligkeit von Konzernökologie. Porsche kann nicht fürs Tempolimit sein und die Lufthansa (Nordamerika ab 419€, Slogan: „Say yes to the world“, cos it’s hot!) nicht für eine Besteuerung von Flugbenzin, sowenig wie Lisa Normalverbraucherin, die mit Miete und allem gerade eben hinkommt und sich das ganze Jahr auf zwei Wochen all inclusive freut. Die Gelbwesten, bei denen es mehrheitlich für Flugreisen gar nicht reicht, gibt es, seit Macron versucht hat, die Dieselsteuer zu erhöhen, und Diesel braucht man in der französischen Armutsprovinz nicht für pathische Geländewagen, sondern zum Überleben.
„Die nächste sozialistische Revolution ist ein theoretisches Rätsel, das wir praktisch lösen müssen, aber nur wer sie vorbereitet, macht Geschichte. Alles andere, selbst wenn es Politik treibt, ist der ahistorische Leerlauf einer erschöpften, ungerechten und wahnsinnigen Welt.“ Dath, 2019
Politik hat also mindestens zwei Gründe, es mit den Verboten nicht zu übertreiben: das Kapital und die, die den Mehrwert zusammenschuften und etwas davon haben wollen, und sei’s Daddelkram und täglich Fleisch zum Grillpartypreis. Die Überflusswirtschaft ist in jeder Beziehung auf Überfluss angelegt, und Eingriffe, gar harte, bringen den ganzen Laden ins Wackeln; und noch das Tempolimit, weichster aller Eingriffe, wird zur Härte da, wo er die Macht des einzelnen einschränkt, über sich selbst (und drängelnd auf der Überholspur: über andere) zu verfügen. Dass er diese Macht auch bei 220 nicht hat, weiß er nicht, und mindestens darin ist Scheuer kein Lobbyist, sondern bloß dumm genug, dass er es auch nicht weiß.
Es sind diese Probleme, die eine Mangelwirtschaft eben nicht hat: Da kann man einmal in zehn Jahren ans Schwarze Meer fliegen, und die restliche Zeit ist man froh, wenn im Betriebsferienheim an der Ostsee ein Platz frei ist. Dass die realsozialistische Mangelwirtschaft, in welcher niemand fror oder hungerte, ihre Produktivkräfte noch nicht so weit hatte, das Nötige ohne Gift zu produzieren, ist eine historische Feststellung, die nicht blind dafür machen soll, dass, reden wir von harten Eingriffen, solche in die Eigentumsordnung das eigentliche Ziel sein müssen. Denn der wirklich harte, diktatorische Eingriff, der diese nicht berührt, sorgte ja bloß dafür, dass die Verbrauchs- und Vernutzungswirtschaft weitergehen kann, und wäre der Eintopfsonntag, der Solidarität mit der Ordnung meint, nicht mit ihren Opfern.
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