Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Kein Weltuntergang
Das ganze Leben, wir wissen es, ist ein Quiz, und mitunter ein besonders einfaches: Geht es in der „Süddeutschen Zeitung“ um frische Raketenangriffe der Hamas und wie es sich in den israelischen Grenzgebieten unter Raketenangriffen lebt, wenn zwischen Alarm und Einschlag 15 Sekunden liegen, was ist dann auf dem Foto zu sehen? a) Verängstigte israelische Kinder nach einem Angriff oder b) verängstigte palästinensische Kinder nach dem Gegenangriff?
Es muss schön für die Korrespondentin Alexandra Föderl-Schmid sein, sich so wacker um Objektivität zu bemühen („Armut, Wut und Stromausfälle: In Gaza formiert sich der Protest gegen die herrschende Hamas. Die lässt Demonstranten verprügeln und verhaften“, 26.3.), wenn die heimatliche Redaktion dann doch wieder Angst vor den Leserbriefen hat oder selbst darauf besteht, dass Vergeltung viel schlimmer sei als der Erstschlag, schon aus gut christlichen Gründen, von denen der Jud’ halt naturgemäß nichts versteht. Derweil veröffentlichen – drei Wochen nachdem auf einem Karnevalswagen in Flandern „zwei bärtige Figuren mit Hakennasen, Schläfenlocken und Hüten orthodoxer Juden vor Geldsäcken und einem Geldschrank“ zu sehen gewesen sind („Neues Deutschland“, 7.3.) – die Riefenstahl-Rocker Rammstein „eine Videoszene in KZ-Kleidung“ (SZ, 29.3.), worüber sich das Feuilleton in der Ahnung aufregt, dass seine Aufregung zum Plan gehört, und jetzt könnte ich googeln und die Zahl der deutschen (französischen, europäischen) Juden ermitteln, die sich mit dem Gedanken an Auswanderung tragen, aber ich spare es mir, denn dass sie enorm gewachsen ist und weiter wächst, reicht völlig. Und wer dann ausgewandert ist, sitzt in Tel Aviv und wird plötzlich von den Leuten gehasst, die Videoszenen in KZ-Kleidung daheim noch beklagt haben. Die Welt ist schön.
„Davon geht die Welt nicht unter / Sieht man sie manchmal auch grau / Einmal wird sie wieder bunter / Einmal wird sie wieder himmelblau“ Zarah Leander, 1943
Das Mantra Oliver Kahns, dass es immer weitergehe, es ist das Mantra der Zeit, sonst stünde es nicht in der FAZ, wo der bewährte Frank Lübberding in genauso bewährtem Positivismus darauf besteht, dass es Zukunft per definitionem immer gibt und sich also niemand von „apokalyptischen Visionen, die jeden Freitag von Tausenden Schülern als Glaubensbekenntnis nacherzählt werden“, ins Bockshorn jagen lassen muss, zumal diese dummen Demos „ohne die Einsicht“ aufgeführt würden, „nichts anzubieten, um die Menschheit tatsächlich zu retten. Es bleibt dann nur der Fatalismus.“ Doch der ist freilich Quatsch, denn die „in Aussicht gestellten Katastrophen durch den Klimawandel sind keineswegs die ersten von uns Menschen fabrizierten. Die letzte namens Zweiter Weltkrieg kostete fünfzig Millionen Menschen das Leben, nicht zuletzt“, bitte einrahmen: Nicht zuletzt!, „von uns Deutschen verursacht“, ohne dass deswegen, wie man so sagt, die Welt untergegangen wäre. „Die Reaktion auf den Klimawandel ist dagegen der erste ernsthafte Versuch der Weltgemeinschaft, solche Entwicklungen mit womöglich desaströsen Konsequenzen durch Kooperation zu verhindern oder wenigstens einzudämmen“, ein Versuch, der zwischenzeitlich zu einem neuen Rekord beim Treibhausgasausstoß geführt hat. „Diese Erkenntnis“, dass es irgendwie noch immer jot jejange hätt, „hilft aber nicht, wenn man wie Ziemiak gestern abend der grassierenden Endzeitstimmung auch noch zustimmt“, es also selbst einem CDU-Generalsekretär im öffentlich-rechtlichen Talkfernsehen nicht mehr recht gelingt, Optimismus zu heucheln.
Ein Optimismus, der aber doch nicht unbegründet wäre, wo die Sonne schließlich jeden Morgen aufgeht und es auch in hundert Jahren noch Menschen geben wird, selbst wenn ein sogenannter, nicht zuletzt von uns Deutschen mitverursachter Klimawandel („Riesen-SUV X7: BMW setzt noch einen drauf“, FAZ.net, 28.3.) zwischenzeitlich vielleicht 50 oder 500 Millionen von ihnen das Leben oder wenigstens das Zuhause gekostet hat; wie die Geschichte schließlich lehrt, dass sich alles überleben lässt, sofern man nur auf der richtigen Seite sitzt. Und die ist a) in Frankfurt und München; und nicht b) in Haifa oder Bangladesch.
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