Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die beste aller Welten
Drei Wochen sind vergangen, seit ich die Meldung auf hessenschau.de mit einem Lesezeichen versehen habe, und seit drei Wochen hat sie im wesentlichen niemanden weiter interessiert: „Bei Baustellensicherung: 71 Jahre alter Straßenarbeiter auf A7 tödlich verletzt. – Schwerer Unfall am Freitagmorgen auf der Autobahn 7 bei Knüllwald (Schwalm-Eder): Ein Straßenarbeiter eines privaten Dienstleisters war gegen 7 Uhr dabei, eine Baustelle mit Warnbaken zu sichern. Danach wollte der 71 Jahre alte Mann laut Polizei offenbar über die Fahrbahnen zurück auf den Standstreifen laufen. ,Dabei muß er den Verkehr nicht beachtet haben’, hieß es von der Polizei. Der 71jährige sei beim Überqueren direkt vor ein Auto gelaufen. Er erlitt schwerste Verletzungen und wurde mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Dort starb er wenig später. Von dem Unternehmen, für das er tätig war, war am Freitagmittag keine Stellungnahme zu erhalten.“
Auch die Illustrierten in meinem Rückenstudio sind, weil es ein sehr billiges Rückenstudio ist, etwas älter, und so trifft es sich, daß diese Meldung, die ich vorgestern las, ca. genau so lange her ist: „Luxus aus der Dose. Gourmetkost für den Hund ist der neue Trend für stilbewußte Tierbesitzer. – Es darf nur vom Feinsten sein. Wer etwas auf sich hält, füllt den Freßnapf seines Vierbeiners jetzt mit Gourmetkost. Rund vier Milliarden Euro geben die Deutschen pro Jahr für Tierfutter aus – und achten auf Vitamine und Omega-Fettsäuren in Designerdosen und -tüten. Claudia Weidung-Anders, 43, Frau von Popstar Thomas Anders, bedient mit ihrer Firma Home & Dogs den Trend, betreibt standesgemäß sogar einen ,Showroom’ auf dem Klostergut Besselich bei Koblenz (…). ,(...) lasse ich jetzt in Zusammenarbeit mit erfahrenen Metzgern und Ernährungsexperten frische Rohstoffe im Schongarverfahren verarbeiten, glutenfrei, teilweise hypoallergen.’“
„Außer luddistischen Müslifressern wird niemand etwas schlecht finden, das aus dem Leben nicht mehr wegzudenken ist.“ David Foster Wallace, 1996
Als Patriot und Freund des Standorts bin ich ich gern bereit anzunehmen, daß ein 71jähriger in diesem Land nicht gezwungen ist, im Straßenbau zu arbeiten, vielmehr aus völlig freien Stücken die Gelegenheit nutzt, auf der A7 das Taschengeld zu verdienen, das er für die glutenfreie, teilweise hypoallergene Designkost verwendet, die seine Töle so unbedingt benötigt. Und während er mit 71 ganz freiwillig für einen privaten Dienstleister, der ihm gerne den Gefallen tut, auf der BAB den Arsch hinhält, liest seine Frau (jetzt Witwe) daheim in derselben Bunten, daß Hugh Grant den zwei Frauen, von denen er drei Kinder hat und ein viertes bekommt, in London mal eben zwei Häuser gekauft hat, und sie schüttelt den Kopf und denkt: Vier Kinder von zwei Frauen! So ein Schlawiner! Sie denkt nicht: Die einen kaufen hypoallergenes Hundefutter in Designerdosen oder mal eben für zwanzig Millionen ein paar Immobilien, und mein Mann trägt mit 71 in aller Frühe Warnbaken über die A7, weil die Rente nicht reicht. Denn dafür ist die schreckliche Bunte da, daß man (eher: frau) solche Gedanken unter gar keinen Umständen hat.
Auf den topkritischen Kommentar in der Hessenschau oder sonst einem unserer bewährten Meinungsmedien kann man, „25 Jahre nach dem Sieg der Freiheit über den Kommunismus“ (Die Zeit in anderem Zusammenhang), allerdings ebenfalls warten, bis man so schwarz geworden ist, wie sie es alle, alle sind.
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