Gärtners kritisches Pfingstsonntagsfrühstück: Ein Fall für zwei
Es ist hier nicht der Ort zu erklären, warum ich den Abend mit drei uralten Krimifolgen „Fall für zwei“ verbracht habe; es wird wohl mit dem Schopenhauerschen Willen zum Nichts zu tun haben, evtl. aber auch mit der Freude am grauen Frankfurt der achtziger Jahre, den zelthaften Dreiteilern Günther Stracks, Matulas Giulia-Kfz und dem Umstand, daß der kregle Ermittler in der Folge „Schwind paßt auf“ das absolut gleiche Polo-Shirt trägt, das ich heute, dreißig Jahre später, auch trage. Ein Klassiker. Sogar die Farbe stimmt!
Und während ich mich also derart retrodoof an einer Zeit freue, die maximal von heute aus die gute alte war (Kohl!), denk’ ich natürlich immer mit, daß es damals neben Frankfurt (West) auch noch ein Ostzonenfrankfurt gab, ja überhaupt eine ganze DDR, und was für ein Glück es ist, daß dieser „Scheißstaat“ (Udo Tellkamp) schon so lange Geschichte ist. Ein Staat der Lüge, Abhängigkeit und totalen Überwachung, und wie schön, daß wir das alles so glücklich überwunden haben! Die Lüge z.B., ausgestorben: „Ein Denken in Einflußsphären nehmen wir im Europa des 21. Jahrhunderts nicht hin“, sprach die Kanzlerin, denn in Einflußsphären denken, das ist von gestern, was allein der Iwan noch nicht begriffen hat, weshalb er die Ukraine für seinen „Vorgarten und Hinterhof“ (FAZ) hält, während dieser Vorgarten dem Berthold Kohler und seinem freien Westen bekanntlich ganz egal ist, so egal, wie es einst der Balkan war, wo das „Selbstbestimmungsrecht“ (ders.) kroatischer Faschisten ja auch schon nichts mit deutscher (und Frankfurter!) Einflußsphärendenke zu tun hatte.
„Aber die Schwierigkeit besteht doch darin zu wissen, was die Wahrheit ist.“ Dr. Renz, 1986
Aber auch das mit der Überwachung hat sich gottlob erledigt, jedenfalls soweit es nicht die perfiden Methoden des Yankees betrifft: „Deutschlands größter Autoversicherer Huk-Coburg erprobt sogenannte Telematik-Tarife, die umsichtige Fahrer belohnen sollen. Das System sieht vor, daß Geräte die Geschwindigkeit und das Brems- und Beschleunigungsverhalten von Autofahrern erfassen und Routen aufzeichnen. Falls der Versicherer das Fahrverhalten positiv einschätzt, sollen die Beiträge sinken“ (Berliner Morgenpost). Daß systemtreues, transparentes Fahren auf dem rechten Weg belohnt werde, dafür ist die DDR (außer Titanic-Webmaster A. Golz, Magdeburg) 1989 auf der Straße gewesen! Wie auch dafür, daß sich Leistung endlich lohne: „Kommen Sie zur Zeit mit Ihrem Gehalt aus?“ wollte die SZ von der Vize-Leiterin einer Dachauer Kita wissen. „Na ja, ohne einen Nebenjob könnte ich mir keinen Urlaub leisten.“ – „Was für ein Nebenjob?“ – „Ich arbeite in der Gastronomie, so wie 80 Prozent meiner Kolleginnen.“ – „Die arbeiten alle nebenbei?“ – „Von den 1500 bis 1600 Euro, die ich rauskriege, muß ich 900 Euro Miete zahlen. Dachau hat fast Münchner Niveau.“
Broov. Bzw.: „Die Frage ist also nicht, welche Zukunft man hat oder erduldet, die Frage ist, welche Zukunft man haben will und wie man darauf hinlebt und hinarbeitet“ (Pfr. Dr. Heribert Prantl, München). Und sei’s auch, nach einer strammen Arbeitswoche als Erzieherin mit Leitungsfunktion, mit einem Tablett Schweinsbraten in der Hand. Für die Zukunft unserer Kinder, genauer: jener Kinder, die das deutsche Schul- und Vorschulsystem nicht sowieso als Pöbel aussortiert.
Ein Fall für zwei also; und zwar für Marx und Lenin. (Oder Gremliza und Dath.)
Der Autor trägt am Donnerstag live aus seinen Frühstücken vor: Uni Passau, WiWi, HS 6, 20 Uhr.
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