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Es lebe der Witz!

von Tim Wolff, Chefredakteur TITANIC

Es ist anläßlich der fürchterlichen Morde in Paris wohl nötig, mal wieder Grundsätzliches über Komik und Satire zu sagen. Denn nicht nur islamistischen Terroristen, so unsere Erfahrung bei der Titanic, fehlt es da an der Grundausstattung. Komik ist zu allererst ein Mittel, dem Ernst des Lebens, der die meisten von uns bedrückt, selbst wenn nicht gerade Raketenwerfer in Redaktionsräumen abgefeuert werden, etwas entgegenzusetzen, im besten Falle seiner Herr zu werden. Und je ernster die Lage, desto wichtiger der Humor. Komik schafft Distanz zu bedrückenden Ereignissen, sie erlaubt, uneigentlich über eigentlich Unerträgliches zu sprechen – und so den Schrecken zu bekämpfen. Sehr viele Komikunkundige, ob Islamisten, Rassisten oder deutsche Durchschnittsjournalisten, begehen meist den Fehler, einen Witz auf einen unkomischen, ernsten (und zumeist noch auf einem Mißverständnis beruhenden) Aussagekern herunterbrechen zu wollen. Die einen, weil sie den Witz auslöschen wollen; die anderen, weil sie glauben, Satire und Komik zu ernsten Themen sei nur angebracht, wenn sie „wertvoll“, „geistreich“ oder was auch immer ist.

Es ist natürlich schöner, wenn Komik auch noch eine kluge Botschaft transportiert, aber sie ist auch ohne sehr viel wert. Das müßten die meisten Menschen eigentlich wissen, denn sie praktizieren es privat. Als etwa gestern ca. 100 Journalisten Interviews und Statements von mir haben wollten, fielen immer wieder Wendungen wie „Wir wollten Sie nicht überfallen“ oder „Schießen Sie los“ – und was taten diese Leute, als Ihnen auffiel, was sie da gerade versehentlich, aus Routine gesagt hatten? Sie lachten. Nicht etwa, weil sie sich damit über die ermordeten Satiriker lustig machten, sondern weil ihre üblichen Phrasen auf einmal in einem anderen Kontext standen, eine Bedeutung bekamen, die sie nicht haben sollten. Dahinter steckt keine wertvolle Aussage, es nimmt schlicht für einen Moment dem Ernst die Macht.

Und das dürfte der Grund sein, weswegen Fanatiker, speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muß das andere mißverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.

Seit gestern gilt mehr denn je: Es lebe der Witz. Der kluge. Der platte. Jeder, der genügend Menschen findet, die über ihn lachen. Und für alle, die ihn nicht mögen, sollte mehr denn je gelten: Ertragt ihn oder ignoriert ihn. Ihr werdet der Komik nicht Herr!

(Dieser Text ist zuerst als Gastbeitrag auf "n-tv online" erschienen.)

Kategorie: Allgemein



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Briefe an die Leser

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

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Karl Franz

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella
12.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »Ach was – Loriot zum Hundertsten«
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