Humorkritik | April 2007
April 2007

Reformbühne, Brauseboys
Das munter vor sich hin deklamierende Lesebühnenwesen machte jüngst durch einige Veröffentlichungen von sich hören, von denen ich ein Print- und ein Hörprodukt hervorheben möchte: »Volle Pulle Leben. 10 Jahre Reformbühne Heim & Welt« (Goldmann) heißt das Buch, obwohl es, wenn ich dem Klappentext Glauben schenken darf, eigentlich mehr ein (285seitiger) »Reader« ist – Lesebühnen-Understatement eben: Das klingt wohl mehr nach Vorgelesen-Bekommen oder Vorgelesenes-noch-mal-nachlesen-Können. Die Herren und Damen Autoren sind denn auch Routiniers des alltagsaffinen Erzählens, die sich nicht zu den »Kacke-Matsch-Ficken-Schreibern« (M. Maurenbrecher) rechnen – fast überflüssig, daß der Herausgeber den Texten der festen Vorleser solche von »Stargästen« wie Wl. Kaminer, Judith Hermann und Tanja Dückers zugesellt hat.
Im Vorwort lese ich, daß sich die Beiträge bei den wöchentlichen Vortragsabenden »im guten wie im schlechten« abwechseln – im Readerbuch sieht’s ähnlich durchmischt aus. Kraftvoll sind z.B. die Verwünschungen, die Falko Hennig gegen deutsche Verlagsanstalten auffährt (»Aber wie ich weiß, werden die Leichname von Ihnen und den Kollegen von Kiepenheuer & Witsch bald Fraß der Maden«), eher lahm/doof hingegen die Reime, die er Brasilien widmet: »Belém, Belém, Belém, die Hauptstadt von ganz Parà/Belém, Belém, Belém, mit Flugzeug oder Schiff ist man da.« Fein, wie Uli Hannemann einen Rapper über dessen »Ghetto« Nord-Zehlendorf plaudern läßt: »›Manchmal kommst du nichtsahnend um die Ecke und liegst im selben Moment schon blutend am Boden‹, warnt er, ›die streuen einfach nicht‹«, nicht so fein, wie Jakob Hein eine Pizza-Geschichte mit Käsesätzen auspolstert: »Ich zerrte die mühsam erkämpfte Beute in meine Wohnung zurück und gab meinem Körper die in der letzten halben Stunde verlorene Energie wieder zurück.«
Wer es authentischer mag, dem ist vielleicht mit der Doppel-CD »Wir sind nur Kurzgeschichtenvorleser« (Blue/Satyr) der Vorlesebande Brauseboys geholfen. Die Platte beginnt damit, daß das Live-Publikum die rechtlichen Hinweise (»Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten«) multisono nachbetet – damit ist schon viel gesagt, denn vor allem die Arbeit mit, am und fürs Auditorium ist die Stärke der Brauseboyband (Nils Heinrich, Volker Surmann, Heiko Werning etc.). Die CD enthält einen Vortragsabend mit Geschichten, Liedern und einem »Kurztextpotpourri« (das an das Kurztextpotpourri erinnert, das in diesem Heft erscheint); dabei betreiben die Brauseboys eine Art von Imagebranding für Großstadt-Laienliteraten, die man bemitlacht, wenn sie aus ihrem Leben berichten. Oder Lieder über Berufsethos verfassen: »Wir sind nur Kurzgeschichtenvorleser/wir lesen doch nur ab vom Blatt/wir schreiben doch nur unsre Ideen auf/die hoffentlich kein anderer hat.«
Ein Strickmuster aber wird – ob bei Rektoskopie oder Kindheitsurlaub – fast immer peinlich eingehalten: Der Vorleser ist der Verlierer, kann aber seine Niederlage durch die Bühneninszenierung in einen (temporären) Sieg ummünzen. Das schafft Identifikation, bleibt aber häufig überraschungsfrei.
Denn so kurzweilig ich beide Produkte fand, so hausbacken sind sie auch gefertigt: Das Genre Lesebühne hat sich in all den Jahren, in denen ich es schon beäuge, nicht wesentlich weiterentwickelt, schlingert immer noch risikofrei durch die Selbstbezüglichkeit des Alltags und läßt selten die Frage offen, wer hier die Guten seien – ich würde manchmal auch gerne wissen, wer genau die Bösen sind.