Humorkritik | September 2021

September 2021

»Ich möchte belehren und fürchte zu gefallen; ich möchte raten und fürchte zu belustigen; ich möchte einwirken auf meine guten Mitbürger und ihren Ernst ansprechen, und ich fürchte Lachen zu erregen.«
Ludwig Börne

Dänische Killer-Nerds

Kann man freilich auch machen, warum nicht: Ein paar zahlen- und statistikbegabte, dafür sozial defizitäre Genies mit einem Kriegsveteranen (Afghanistan?) zusammenspannen, um vereint Rache an einer brutalen Rockergang zu nehmen. Heraus kommt dann so etwas wie eine blutige Actionversion von »The Big Bang Theory« in Spielfilmlänge; heißen tut sie »Helden der Wahrscheinlichkeit« und stammt vom dänischen Regisseur Anders Thomas Jensen (»Men & Chicken«, siehe TITANIC 09/2015). Wobei es zuerst nicht viel zu lachen gibt: Eine Frau und ihre Tochter werden Opfer eines Zugunglücks, das für die Frau tödlich endet und den Gatten, besagten Kriegsveteranen, als Witwer zurücklässt. Im selben Abteil befindet sich aber auch Otto, ein Mathematiker. Und der hat allzuviel Verdächtiges beobachtet, um an einen Unfall zu glauben. Die rasch eingeschaltete Polizei erfüllt ihre filmgemäße Aufgabe, indem sie den lästigen Querkopf abwimmelt; ein paar halblegale, auf eigene Faust unternommene Recherchen später sind sich Otto und sein schwatzhafter Kollege Lennart sicher: Die Tat geht auf das Konto der Rockerbande »Justice Riders«, welche sich auf diese Weise eines im selben Waggon sitzenden Kronzeugen entledigen wollten. Zusammen mit dem dicken Hacker Emmenthaler marschieren die beiden bei dem zur Trauer unfähigen Kriegswitwer auf, um ihn (hinter dem Rücken seiner Tochter) davon zu überzeugen, dass der Tod seiner Frau kein Unfall war.

Komisch ist dann der Zusammenknall zweier Welten: hie einsamer Wolf, der alle seine Probleme körperlich löst, dort die Unfähigkeit, ein Auto rückwärts zu lenken; hie Stumpfheit und Alkoholismus, dort die stets präsente Daten- und Informationsfülle hochintelligenter Geister: »He, forensische Spuren überführen den Täter in 87,4 Prozent aller Mordfälle!« bzw.: »Nein, das ist nicht illegal, was wir hier tun. Nicht sehr. Die Strafe dafür ist in etwa so hoch wie die für das Bauen eines illegalen Bootssteges.« Die Dialoge machen Spaß, leider ist die dargestellte Gewalt oft unangenehm realistisch: Anders als in »Men & Chicken«, wo man sich Blesshühner über die Rübe zog, werden hier genussvoll Finger gebrochen. Nach viel Schock und Blut und psychischen Zusammenbrüchen bietet erst die familiäre Abschlussszene Trost. Die ist aber dafür derart grob drangeklatscht an den zynischen Rest, derart dick aufgetragen in ihrer Schmalzseligkeit, dass ich gleich mitversöhnt war und tatsächlich lachend aus dem Film ging.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt