Humorkritik | September 2021
September 2021
»Ich möchte belehren und fürchte zu gefallen; ich möchte raten und fürchte zu belustigen; ich möchte einwirken auf meine guten Mitbürger und ihren Ernst ansprechen, und ich fürchte Lachen zu erregen.«
Ludwig Börne
Pro »ContraPoints«
Wenn ich mir auf Youtube nicht gerade Informationen über Bartpflege hole, gucke ich gerne die bis zu 90-minütigen Videos der US-amerikanischen Youtuberin Natalie Wynn, bekannt als ContraPoints. Wynn, die ihren Doktor in Philosophie abgebrochen hat und ihre Zuschauer/innen (und also auch mich) liebevoll-überzogen als gorgs anredet, nutzt ihr umfangreiches Wissen und ihre Analysefähigkeit nicht nur, um Interessantes und Lehrreiches loszuwerden über Kapitalismus, Gender und J. K. Rowling, sondern ist häufig auch noch sehr lustig. So verwendet sie zum Beispiel in einem explizit an Männer gerichteten Videoessay zur Benennung der einzelnen Kapitel die Begriffe Axiom, Postulat und Theorem, um es für ihre rational und strukturiert denkenden Zuschauer attraktiver zu gestalten. Auch ihre Eigenschaft als Transfrau dient ihr für Running Gags (fast in jedem Video kündigt sie an, über ein sehr intimes Thema zu sprechen, über das sie noch nie zuvor gesprochen habe, um dann feierlich zu enthüllen, dass sie eine Transfrau sei) und um mit gängigen Ideen und Vorstellungen über transgender Personen zu spielen (endlich, so sagt sie, habe sie nun den Körper »I am meant to die inside of«). Darüber hinaus sind ihre Witze für gewöhnlich mindestens einmal gebrochen, sie tauchen an unerwarteten Stellen auf oder sind gleich völliger Nonsens.
Ich möchte Wynns Videos auch wegen des offensichtlich hohen Aufwands empfehlen, den die Produktion kostet: Für fast jeden Beitrag wird eigens Musik komponiert, das Szenenbild und die von Wynn getragenen Kostüme sind so schön anzusehen, dass sich allein dafür das Schauen lohnt. Also: Abonnier’ ContraPoints, gorg!