Humorkritik | September 2021
September 2021
»Ich möchte belehren und fürchte zu gefallen; ich möchte raten und fürchte zu belustigen; ich möchte einwirken auf meine guten Mitbürger und ihren Ernst ansprechen, und ich fürchte Lachen zu erregen.«
Ludwig Börne
Die andere Seite des Mondes
Es gibt Ideen, die sind zu gut für ihre Umsetzung. Die Serie »Kevin Can F*** Himself«, erhältlich bei Prime Video, bietet eine solche. Wie der Serienname ahnen lässt, geht es um die Welt klassischer amerikanischer Sitcoms wie »Kevin Can Wait« oder »King of Queens« mit Kevin James oder auch »Everybody Loves Raymond« und »Eine schrecklich nette Familie« (und in einer animierten Nebenlinie auch um »Familie Feuerstein«, »Die Simpsons« usw.), in denen allesamt Unter- bis Mittelschichtspaare beim jeweils heiklen Ehe- und Arbeitsleben begleitet werden. Der Mann steht dort mit seinen tumben Vorlieben und Exzessen im Mittelpunkt, die Frau ist dank gescheiterter Ambitionen als eher humorloses Beiwerk konzipiert, meckert, bemuttert und räumt am Ende hinterm Gatten auf. Meist kommt ein Nachbarpaar hinzu, bildet Allianzen entlang der Geschlechter und befeuert und befriedet die Konflikte. Ein traditionsreiches Szenario, das bis in die 1950er zurückgeht, zu einer Sketch-Serie namens »The Honeymooners«, in der der Ehemann als Running Gag im Streit (leer) droht, die Ehefrau eines Tages zu verprügeln: »You’re going to the moon!«
In »Kevin« kippt dieses Konstrukt auf clevere Weise: Mitten in der hellen Drei-Kamera-Studioatmosphäre der Sitcom (natürlich mitsamt Publikumslachen) wechselt die Serie in eine düstere Ein-Kamera-Dramasicht – und zwar bevorzugt dann, wenn die Ehefrau (gespielt von Annie Murphy, bekannt aus dem wunderbaren »Schitt’s Creek«) mit den Folgen der Rücksichtslosigkeiten ihres Mannes alleingelassen wird. So wird die Comedy zum Schrecken, was durchaus lustig sein kann. Es erinnert formal an einen Kniff aus »Austin Powers«. Da schießt sich Powers in bester Bond-Manier durchs Hauptquartier des Bösewichts und tötet beiläufig dessen Handlanger – Schnitt: Das Telefon in einem ur-amerikanischen Haus klingelt, ein Baby wird gerade gefüttert, die Mutter geht ans Telefon und hört: »Arbeitet Ihr Mann für Dr. Evil?« – »Ja.« – »Dann habe ich eine schlechte Nachricht für Sie« …
Doch während in der Bond-Parodie die traurige Hintergrundgeschichte einer normalerweise übersehenen Nebenfigur als Pointe funktioniert, müssen in »Kevin Can F*** Himself« auf diese Art acht dreiviertelstündige Folgen gefüllt werden. Das geschieht im Wesentlichen über die stärker werdende Wut der weiblichen Hauptfigur, bis zum Wunsch, Kevin zu töten. Womit die »Honeymooners« umgekehrt wären. Eine schöne Schleife; doch schon in der ersten Folge fragt man sich: Wie lange halte ich bewusst mittelmäßige bis schlechte Scherze aus, um etwas dekonstruiert zu bekommen, das ohnehin aus der Mode geraten ist? Oder gibt es wirklich noch erfolgreiche Sitcoms dieser Art? Auch ist es nicht die erste Parodie, die die strukturelle Gewalt dieses Genres ausstellt; besonders brachial leistete das etwa Oliver Stones »Natural Born Killers«. Obendrein bleibt die feministische Haltung dank des veralteten Ziels weit hinter dem zurück, was andere komische Serien wie »Crazy Ex-Girlfriend« oder »Fleabag« etabliert haben. »Kevin« ist gut gespielt und solide inszeniert; mehr war aus der fabelhaften Grundidee wohl nicht herauszuholen.