Humorkritik | September 2021
September 2021
»Ich möchte belehren und fürchte zu gefallen; ich möchte raten und fürchte zu belustigen; ich möchte einwirken auf meine guten Mitbürger und ihren Ernst ansprechen, und ich fürchte Lachen zu erregen.«
Ludwig Börne
Cortex comedi
Es ist gar nicht so schwer, sich Komisches auszudenken. Einzige Voraussetzung: das richtige Gehirn. So haben die Neurowissenschaftler Jacob Brawer and Ori Amir untersucht, »ob sich komödiantische Erfahrungen und Fähigkeiten in der strukturellen Anatomie des Gehirns widerspiegeln«. Denn während es bereits Studien zum spezifischen Kopfinhalt von Musiker/innen, Maler/innen und Autor/innen gibt, ist das komische Gehirn weitgehend unerforscht. Also wurden 41 Personen – professionelle Comedians, Amateur/innen und Nichtcomedians – für einen Gehirnscan in die MRT-Röhre gelegt.
Das unter dem Titel »Mapping the ›funny bone‹« im Fachmagazin »Social Cognitive and Affective Neuroscience« veröffentlichte Ergebnis: Komik zu ergrübeln treibt die Furchen nicht nur auf die Stirn, sondern auch ins Hirn. Die »Profi-Gruppe« wies nämlich eine »signifikant vergrößerte Oberfläche« in Hirnregionen auf, die beim »abstrakten und divergenten Denken« aktiv sind. Diese »verstärkt ineinandergreifende Säulenarchitektur in höheren semantischen Regionen« dürfte jenen Versuchspersonen eher erlauben, »voneinander entfernte Konzepte und Perspektiven in einer neuartigen Art und Weise inhaltlich miteinander zu verbinden«, also Witze zu machen.
So schön die Vorstellung eines Pointen-Zerebrums ist: Wenn man zugleich erklärt, dass manche einen »objektiv größeren Sinn für Humor« besitzen, weil sie Teil einer »Elite professioneller Comedians« sind, oder dass »humorvolle Aussagen schnell generiert« und »ihre Qualität (Lustigkeit) relativ einfach beurteilt« werden können, möchte ich diese Operationalisierungen des Komischen (Lustigkeit) doch für signifikanten Quatsch halten. Aber das ist vielleicht nur der neuronale Reflex eines alten Humorkritikergehirns.