Humorkritik | September 2021
September 2021
»Ich möchte belehren und fürchte zu gefallen; ich möchte raten und fürchte zu belustigen; ich möchte einwirken auf meine guten Mitbürger und ihren Ernst ansprechen, und ich fürchte Lachen zu erregen.«
Ludwig Börne

Gemeinsam mit Männern
Wenn ein Roman von seinem Verlag (Kiepenheuer & Witsch) als »extrem komisch« und »gleichzeitig schmerzhaft heutig« angepriesen wird, der NDR eine »bissige«, der SWR eine »funkelnde« und die Zeit immerhin eine »hübsche Mediensatire« gelesen haben will, dann ist Mentz’ Neugier geweckt; aber auch seine Skepsis erwacht.
In »Ciao« erzählt Johanna Adorján von einem alternden Feuilletonisten, der so alt nun auch wieder nicht ist, dass er sich ohne Ironie als »Edelfeder« bezeichnen ließe. Dieser Hans Benedek ist körperlich (Haarausfall am Hinterkopf) und modisch (Lederslipper ohne Socken) stigmatisiert, sonst aber ganz in Ordnung: »Auf den Fotos von diesem Abend, die Hans irgendwann beim Sich-Selbst-Googeln zufällig entdeckte, war nicht zu übersehen, dass er älter geworden war«. Er ist verheiratet, hat eine Tochter im schwierigen Alter, dazu eine Affäre mit der Praktikantin – und leitet seinen Untergang (oder, auf adorjánisch: sein Sich-Selbst-Demontieren) mit dem Plan ein, das Porträt einer nonbinären Netzfeminist*in zu schreiben.
Xandi Lochner ist eine rätselhafte Mischung aus Hengameh Yaghoobifarah, Stf. Sargnagel und Margarete Stokowski. Benedek ist einfach ein Alterweißermann. Lochner ist der Road Runner (»beep, beep«), Benedek der bereits über den Abgrund gelaufene Kojote, der noch nichts von der Schwerkraft weiß: »Dieses Jahrhundert würde das Jahrhundert der Frauen sein, gemeinsam mit Männern, und Hans Benedek freute sich darauf«. Die Freude ist, man ahnt es, keine geteilte, und die Fallhöhe unseres Helden beachtlich. Leider schüttet Adorján sie bis zur Oberkante mit banalen Beobachtungen auf, die alleine von ihrem Wiedererkennungswert leben: Abgehakt werden Patriarchat, Parkraumbewirtschaftung, Polyamorie, Instagram, Identitätspolitik, Yoga, Veganismus, Beyoncé, Baselitz, Emojis, Triggerwarnungen, Genderstern, Work-Life-Balance, LGBTQ+, Twerken, Twitter, #MeToo, Füchse in Berlin, Datsche im Umland, Leerstand in der Provinz. Check, check, check, check – Strichlistenliteratur aus der linksbürgerlichen Medienblase für die linksbürgerliche Medienblase. Dieses Schaumschlagen, das Verdoppeln der Verhältnisse durch eifrige Stenographie, mag seine Berechtigung haben für eine schmerzhaft heutige Literaturkritik, die dergleichen für bissig oder funkelnd hält oder gar mit Satire verwechselt; mich hat es nicht aus den Lederslippern gehauen.