Inhalt der Printausgabe
März 2003
Humorkritik
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Erklärungssucht |
Ob "an der Pißrinne einer eher ländlichen Kneipe, wo der Gemeinsinn groß ist" (K. Wecker) oder "nachts in den Kneipen, wo ich manchmal hause, grundlagenlos und in der Nacktheit Bann" (G. Benn), immer jedenfalls "im freundlichen Feuchten" (P. H. Rühmkorf), wo "alle verbrüdert-verschwistert" sind (ders.) - dem Sammler von Witz und Weisheiten sind Kneipentheken und Wirtshaustische elysische Gefilde, belegt durch unzählige diese Quassel-Quellen adelnde Prachtwerke, Henscheids "Vollidioten" und Frank Schulzens "Kolks blonde Bräute" ziemlich vorneweg. Von mitunter sogar Poltschen Gnaden ist Thomas Glatz' konzise Sammlung "Kneipen-Philosophien" (Libelle Verlag), die (wenn auch von Philosophien freilich nicht die Rede sein kann) kurz und repräsentativ vereint, was die Pracht und Herrlichkeit mal sinnfreier, mal tiefsinniger, selten aber sinnloser Kneipen-Konversation ausmacht: Die vom Alkohol gelösten und vom Alltag befreiten Zungen der von Glatz belauschten Gaststubenhocker finden "im Trunk Verklärungssucht" (abermals Benn) - und Erklärungssucht: Abgründiges und Aufgeregtes, Pointiertes und Plattes, mitunter wunderbare, die Vollkommenheit mancher Haikus streifende Preziosen, unmittelbar in zumeist bayerischen Lokalen aufgeschnappt und aufgeschrieben: "In der Zeidung hams gsagt, da is a 21jähriger an an Baum gfahren. Auf gerader Strecke. Jetzt wissens ned warum." Ich aber weiß, warum ich in die Kneipe gehe und zwischen zwei Bieren "welternährt" (nochmals Benn) in Glatzens gefälligem und erbaulichem Bramarbasier-Brevier blättere. |
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