Inhalt der Printausgabe
März 2003
Humorkritik
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Das Fakirwesen |
"Na, Fakir? Paprika-Fan?" Dieses dämliche Palindrom, das ich gestern urplötzlich in der unseligen Ulmer Südwestpresse las, rief mir ungebeten ein ärgerliches Phänomen ins Gedächtnis, das schon den alten C. M. Wieland ennuyierte. Er schrieb: "Nichts von Sultanen, Wesiren, Statthaltern, Kadis, Schatzmeistern, Zollpächtern, Fakiren und Bonzen zu wissen, ist ein Glück, wovon der größte Teil der Menschheit keine Vorstellung hat." Mein Meyersches Konversationslexikon von 1910 beschreibt: "In Europa versteht man unter Fakirs vorwiegend den fanatischen Büßer Indiens, der mit struppigem Haar und fast nackt einherzieht und sich, um sich Gott wohlgefällig zu zeigen, die schmerzhafteste Selbstpeinigung auferlegt. Die Fakirs sind zum größten Teil arbeitsscheues Volk, das sich unter der Maske der Heiligkeit von der abergläubischen Masse füttern und bewundern läßt. In manchen Teilen Asiens sind sie geradezu eine Pest." Harrijeh, die Pest! Sind wir schon wieder so weit? Mancherorts, wo unsereiner besser nicht hingegangen wäre, macht sich nämlich ein schmieriger Narrensamen breit, der abträglich auf das Gesamtbefinden einwirkt. Leute, die mit Schnabelpantoffeln, in Pluderhosen, mit einer Weste, ansonsten aber nacktbrüstig vor ihr Kleinkunstbühnen-Publikum treten; sind sie im Zivilberuf "Schulmeister", wie sie launig formulieren, so tragen sie jetzt auf dem Kopf einen Turban, von der Art, wie sie der selige Franz Josef Strauß trug, wenn er mit seiner Marianne, geb. Zwicknagl, beim Müncher Faschingsmaskenball Maß-voll Hof hielt. Jeder chinesische Auszubildende der Tausendkünstlerei konnte sich früher bereits nach zweieinhalb Wochen Lehrzeit einen fünf Meter langen Seidenfaden durchs Auge in die Nase und aus ihr herausziehen. Einen gewissen Respekt kann ich mir auch abringen, wenn ich lese, daß sich zum Beispiel ein wundertätiger Mann vom 1.12. bis zum 6.12.1927 drei Meter unter der Erde eingesargt hat, unter strenger Aufsicht und lebendig, wohlgemerkt. Karl Julius Weber berichtet von mutigen Menschen, die einen Maikäfer zum einen Nasenloch rein und zum andern wieder rauskriechen ließen, ohne die Nase zu rümpfen. Was soll ich aber mit brustbehaarten Schlappschwänzen, die unter allerhand dummen Ausführungen doofe Seiltricks vorführen? Und ihr Publikum erfreuen, etwa, wenn der Geschäftsführer der Telefonseelsorge 50 Jahre alt wird. Dann bricht die Moribundenstation in "Aahs!" und "Ooohs!" aus. Ich nicht! Ich trete in Hinsicht auf das Fakirwesen Joachim Ringelnatz bei, der den Vorschlag machte, die Fakire allesamt nach der Schweiz zu überführen. Auch auf internationalen und nationalen Zaubererkongressen soll es, wie mir erzählt wurde, hinter den Kulissen grauenhaft hergehen, wo Neid und Dummheit das Wort und Eitelkeit und Selbstüberschätzung das Regiment führen. Begleitet von Alkohol, Nikotin und Aufputschmitteln, versucht man sich gegenseitig darum zu betrügen, wer am besten betrügt. Karl Rosenkranz, der alte Hegel-Fuchs, hatte also recht, als er in der "Ästhetik des Häßlichen" unwiderleglich festsetzte: "Die Zauberei ist ein abgeschmacktes Handeln." In der weiten Gegend um Tübingen allerdings sind der wohlgeratene Heiner Kondschak und der lächerlich mißgestaltete Helge Thun als "Der Schöne und das Biest" unterwegs, der eine auch als eine Art Zauberer, der andere als Musikant. Von einem Gewährsmann wurden sie mir als durchaus akzeptabel, wenn nicht sogar als mehr geschildert. Man überzeuge sich selbst! |
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