Inhalt der Printausgabe
März 2003
Humorkritik
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Schwäbischer Schwan? |
Buchtitel, Autorinnen- und Freundeskreisname fand ich gleich putzig: Franziska Feinäugle heißt die Autorin, ihr Werk hingegen "Die Verlieberin", herausgegeben vom "Freundeskreis Franziska Feinäugle". Die ist im wirklichen Leben Reporterin für die Heilbronner Stimme, eine schwäbische Provinzzeitung, und wenn in diesem Blättle ein Plätzle frei ist, dann erscheint ein Stückchen der unverwechselbar poetischen Feinäuglischen Kurzprosa; jetzt sind die besten aus den Jahren 1996 bis 2001 in nur einem Buch versammelt. Zwei große Themen hat sie, die Verlieberin: nostalgische Sehnsucht nach der Unschuld der Kindheit und die Natur, hier besonders der Herbst: "Eine sehr alte Liebe von mir ist der Herbst." Stets ist sie auf der Suche nach Momenten des Glücks, damit wir nicht "an jenem Seelenschnupfen namens Traurigkeit" erkranken. Glück sieht sie in der Erinnerung an früher, an die "Zeiten, als wir noch an der Hand gingen und von Geburtstag zu Geburtstag ein Sechstel oder Siebtel Leben verlebten", und in der vita contemplativa. Ein feines Äugle hat sie für die kleinen Dinge der Natur. Und in die verliebt sie sich dann. Die Sonnenblume auf dem Balkon heißt "Luzia", eine Schneeflocke ist "gefrorenes Wasser in Kristallform gegossen", und "der Welt großartigste Kleinigkeit sind die Punkte auf dem Marienkäfer". Vor allem entzückt ihre Sprache: Irgendwo zwischen kitschig und charmant trifft Feinäugle immer punktgenau das unfreiwillig Komische. Beispiel gefällig? Bitte sehr, auch wenn die Auswahl schwerfällt: "Herbstwünsche": "Schenk mir einen Herbst, den ich in meinen Augenteichen spiegeln kann. Pflück mir lebendige Blätter aus dem Flüstern der Bäume, ich will die Liebe in ihren Adern zählen. Färb mir neue Sehnsucht unter die Haut, sie wärmt mich die kristallenen Finger des Winters entlang. Leg mir leuchtende Lust über die Weinberge, daß ich dich finde zwischen Abendverglühen und Nacht. Schick mir tanzendes Laub an meinem offenen Fenster vorbei, wenn der Frühnovemberwind mich weckt. Schenk mir einen Herbst und küß mich an rauher Rinde in den Schlaf, bevor du gehst." Verbirgt sich hinter der Feinäugle vielleicht eine alte Jungfer, hemmungslos romantisch, verliebt, verlebt, verwitwet und poetisch höchst versiert? Von wegen, denn sie ist Jahrgang 1976, hat also noch eine lange, vielversprechende Karriere vor sich und könnte dereinst werweiß sogar dem "schlesischen Schwan" gleichkommen - der großen Friederike Kempner. |
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