Humorkritik | April 2024

April 2024

»Die Verpflichtung gegenüber der Wirklichkeit führt zu einer Art Höflichkeit ihr gegenüber. Dem Leben, wie es nun einmal ist, gebührt Respekt. … Satirische Formen, im frühen Werk Thomas Manns noch gelegentlich anzutreffen, verlieren sich im späteren Schaffen beinahe ganz. Sie sind zu unhöflich.«
Hermann Kurzke

Woodys Dernière

Ich muss zugeben, ich sehe Woody Allens Regiewerk gern, und ich glaube, dass man sein Verdienst um die Entwicklung des komischen Films erst richtig wird ermessen können, wenn es keinen neuen mehr gibt.

Allens Filme lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen: die, in denen er selbst mitgespielt hat, und die, in denen er das nicht tut; die, die in New York angesiedelt sind, und die, die es nicht sind; die eher episodisch angelegten und die plotbasierten. Und schließlich: die vornehmlich komisch gemeinten und die, die das nicht sein wollen. Der 50. und (angekündigt) letzte Film des Regisseurs, »Coup de chance« (»Ein Glücksfall«), gehört in jeder dieser Einteilungen zur zweiten Kategorie. Allen wird nächstes Jahr 90; nach einem Alterswerk sieht der Film allerdings nicht aus und anhören tut er sich so schon gar nicht.

Die Musik von Herbie Hancock und anderen Jazzgrößen klingt vertraut; doch zum ersten Mal ist das Original komplett auf französisch gedreht, mit französischen Schauspielern, in Paris und Umgebung. Weshalb es wohl klug war, auf verbale Pointen weitgehend zu verzichten, denn französisch spricht Woody Allen nicht. Stattdessen konzentriert er sich auf einen Schluss, der nicht verraten werden darf, da er das einzig dezidiert Komische an diesem Streifen ist. Der Rest geht den Humorkritiker strenggenommen nichts an: eine klassische Dreiecksgeschichte im großbürgerlichen Milieu, Eifersucht und ihre Folgen, dazu ein Essay über den Zufall und das Glück. Oder, wie es Alain, der Liebhaber, formuliert: »Wir hätten gern alles unter Kontrolle, doch in Wirklichkeit kontrollieren wir nur wenig.« Die leichte Hand, mit der die herbstlichen Szenen aneinandergereiht und Spannungsbrösel ausgestreut werden, erinnert an viele andere mehr oder weniger gelungene Allen-Filme, von »Manhattan« bis »A Rainy Day in New York«. In Paris hat der Amerikaner sich offensichtlich wohlgefühlt: Die Boulevards ersetzen Manhattan, die Jardins den Central Park, der Bois ersetzt die Hamptons.

Thematisch am nächsten kommt diesem Film »Match Point« von 2005. Den habe ich mir noch einmal angeschaut: Ja, er ist wirklichkeitsnäher, wendungsreicher, liebevoller konstruiert und um einiges spannender – doch »Coup de chance« hat auch seine Reize: Er ist schlanker, sieht besser aus (Kamera: Vittorio Storaro) und nimmt sich weniger ernst.

Falls Woody Allen seine Ankündigung also wahrmachen wollte: Es wäre gar kein schlechter Abschluss einer Karriere, die vermutlich ebenso von Zufällen und vom Glück bestimmt war wie dieser feine, kleine Film.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
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