Humorkritik | April 2024

April 2024

»Die Verpflichtung gegenüber der Wirklichkeit führt zu einer Art Höflichkeit ihr gegenüber. Dem Leben, wie es nun einmal ist, gebührt Respekt. … Satirische Formen, im frühen Werk Thomas Manns noch gelegentlich anzutreffen, verlieren sich im späteren Schaffen beinahe ganz. Sie sind zu unhöflich.«
Hermann Kurzke

Kein Raben-Aas und dummes Thier

Den Gottsched kennen nur noch Germanisten, als strengen, verzopften Schul- und Lehrmeister aus dem 18. Jahrhundert und Autor eines pedantischen »Versuchs einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen«. Die Gottschedin aber kennen wohl nicht einmal mehr die Germanisten oder allenfalls noch diesen ihren Namen, als Johann Christophs Gattin. Dabei war Luise Adelgunde Victorie, geborene Kulmus, nicht nur Gottscheds bessere Hälfte, die ihm unermüdlich zuarbeitete, sondern auch eine Sprachkünstlerin aus eigenem Recht, die höchstpersönlich Lustspiele aus dem Französischen ins Deutsche übertrug, bearbeitete und um neue Einfälle bereicherte. Zum Beispiel die Komödie »Die Pietisterey im Fischbein-Rocke« von 1736 (etwa bei Reclam nachzulesen). Schon deren Personal macht erwartungsfroh glucksen, wenn man unter den »spielenden Personen« die sprechenden Namen »Herr Wackermann« und »Magister Scheinfromm«, »Frau Zanckenheimin« und »Frau Seuffzerin« entdeckt.

Vordergründig geht es in diesem Boulevardstück ums Heiraten – kriegt »Jungfer Lieschen« ihren »Herrn Liebmann« oder muss sie sich in die Ehe mit dem »jungen Herrn von Muckersdorff« fügen? Die Frage stellen heißt die Antwort vorwegnehmen, doch bis sie kommt, gibt es viel zu lachen: über die Familie, wenn die Mutter ihre unbotmäßige Tochter als »Raben-Aas« und »du dummes Thier!« beschimpft; über »Frau Bettelsackin«, die unter dem Mantel der Barmherzigkeit die Damen und Herren der feineren Gesellschaft ausnimmt, von »Frau Gebegernin« 50 Gulden, von »Frau Langfingerin« 100 Gulden und von »Herrn Magister Saalbader« 150 Gulden einsackt; über räsonierende Pietistinnen, die sich in »gottseligen Gesprächen« über die »Erbohrenwerdung der himmlischen Wesenheit, aus der Selbstheit der animalischen Seele« auslassen; und endlich über den »pietistischen Buch-Krämer« Jacob, der Titel wie »Die edle neutestamentliche köstliche Perle des Himmels und Gnadenreichs in uns« offeriert, die nur deshalb keine Parodie sind, weil es sie wirklich gegeben hat.

Kurz und sehr gut: Das humoristisch eingekleidete Stück erweist sich als gallige Satire auf Familie, Bürgertum, Religion und bildungshungrige Weiber, äh: als eine unfreiwillig gelungene Satire auf die patriarchalische Gesellschaft, in der wissensdurstige Frauen als Lachnummer gelten. Ja, so rum geht’s.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg