Humorkritik | April 2024
April 2024
»Die Verpflichtung gegenüber der Wirklichkeit führt zu einer Art Höflichkeit ihr gegenüber. Dem Leben, wie es nun einmal ist, gebührt Respekt. … Satirische Formen, im frühen Werk Thomas Manns noch gelegentlich anzutreffen, verlieren sich im späteren Schaffen beinahe ganz. Sie sind zu unhöflich.«
Hermann Kurzke
Dylan muss lachen
Was passiert, wenn man mehr als vierzig Großstars der Popmusik gleichzeitig in ein Tonstudio sperrt, damit sie dort innnerhalb kürzester Zeit einen kommerziell möglichst erfolgreichen Song einsingen, dessen Einnahmen den Hunger in Äthiopien bekämpfen sollen? Diese Geschichte erzählt der Film »The Greatest Night in Pop« (seit kurzem auf Netflix). Die Dokumentation einer denkwürdigen Januarnacht im Jahr 1985, in der Michael Jackson, Lionel Richie, Bruce Springsteen, Tina Turner, Dionne Warwick and many others »We Are The World« aufnahmen, hat jedoch auch Komisches zu bieten: die großartig quäkende Cyndi Lauper zum Beispiel, die sich unter dem Gegacker der anderen all ihres kunterbunt klimpernden Schmucks entledigen muss, weil er beim Singen Störgeräusche erzeugt. Oder Al Jarreau, der betrunken genug ist, ein lustiges Ständchen für Harry Belafonte anzustimmen, dann aber zu betrunken für die halbe Zeile des Benefiz-Songs, die er alleine bestreiten muss.
Die komischste Figur dieser an Anstrengung und Albernheit reichen Nacht ist Bob Dylan: ein Einzelgänger, gefangen in einer Gruppe, ein Nichtsänger unter lauter Stimmvirtuosen, so deplatziert und hilflos, dass er uns Zuschauenden leidtun kann, aber eben auch amüsieren. Als Dylan partout nicht weiß, wie er sein Gesangssolo anlegen soll, fragt er verzweifelt: »Stevie, can you play it one time?« Also setzt sich Stevie Wonder ans Klavier, spielt den fraglichen Part und singt dazu mit perfekter Dylan-Stimme. Da muss selbst der bis dahin versteinerte Bob lachen, geht zurück an sein Mikro, murmelt »Must be in a dream« – und meistert seinen Einsatz im nächsten Anlauf. Ein wirklich traumhaftes Beispiel für Erlösung durch Komik.