Humorkritik | Oktober 2023

Oktober 2023

»His wicked sense of humour / suggests exciting sex.«
Björk, »Venus as a Boy«

Abgeschmackte Donau

Eigentlich hatte ich die Frage, ob Franz Grillparzer (laut knappen Verlagsangaben »1791 in Wien geboren, 1872 in Wien gestorben, Klassiker«; der österreichische Kritiker Hans Weigel hielt ihn freilich nur für einen »Zweitklassiker«, was gemein, aber lustig ist) ein komischer Dichter war und wenn ja, warum, bereits vor einiger Zeit hinreichend beantwortet (TITANIC 6/2022). Wenn ich hier nun wiederhole, was ich vor Jahresfrist festgestellt habe – Grillparzer, ein durch »mürrische Ironie« sich auszeichnender »Sturschädel und Eigenbrötler« –, dann deshalb, weil mir eben ein neuerschienenes Bändchen in die Hände fiel: »Das habe ich mir anders vorgestellt. Tagebuch auf der Reise nach Griechenland« (Jung und Jung). Dessen Lektüre wirft die Folgefrage auf: Ob wir es nicht statt mit einem österreichischen »Nationaldichter« mit einem Repräsentanten des österreichischen Nationalcharakters zu tun haben? Allzu sehr erinnert Grillparzers Chronik fortlaufender Reisequalen an den Geist von Thomas Bernhards berühmten Städtebeschimpfungen (bzw. nimmt diesen vorweg).

Die Reise, die den Dichter von August bis Oktober 1843 von Wien die Donau hinab durchs Osmanische Reich bis nach Athen führt, gibt permanent Anlass zum Granteln und Grummeln. Grillparzers Gravamina sind komisch, weil sie seriell daherkommen, jedoch im Detail variiert werden. Zum Beispiel am 2.9.: »Abends noch im Wirtshause geärgert. Früh zu Bette.« Am 3.9.: »Denke schon an die Möglichkeit, auf dieser Reise zu sterben.« 4.9.: »Die Gegend wird wieder unbedeutend.« 5.9.: »Die Wirbel der Donau sind bei hohem Wasser, wie jetzt, völlig unbedeutend. Dafür war das Wetter elend. Meine Mißstimmung dauert fort.« 7.9.: »Die Donauufer so abgeschmackt wie immer«. 8.9.: »Dieses Reich ist verloren. Der Untergang steht nicht bevor, er ist schon da. Die Häuser Trümmer von Ruinen. Es ist aus, da hilft kein Gott.« 9.9.: »Liegen in der abgeschmacktesten Gegend.«

Und so geht es immer weiter und fort, Tag für Tag: über »die schmierige orientalische Fettküche«, »die Pferde des Sultans, die mir höchst unbedeutend scheinen« oder »die ungeheure Rechnung«, die für eine Übernachtung zu berappen ist. Wenn der leidende Reisende (und vermutlich hat er wirklich gelitten) feststellt: »Die Zeit verging eben, wie das ihre Gewohnheit ist«, dann handelt es sich fast schon um den Ausdruck einer zarten Zufriedenheitsempfindung auf einer Fahrt, die der Dichter in für damalige Verhältnisse kommoden Umständen unternahm: So wurde er immer wieder von Lokalprominenten empfangen, die sich als Cicerone andienten, freilich ihre Perlen vor einen saumäßigen Miesepeter warfen, der für sein »menschenscheues Raunzertum« (Wiener Zeitung, 1922) berüchtigt war und sich zum Beispiel seine Braut betreffend zu dem Kompliment durchgerungen haben soll, sie sei diejenige Person, die er »von allen Menschen am wenigsten hasst«.

Weil das Reisetagebuch mit 95 Seiten sehr schmal ist, taugt es kaum als Begleitlektüre für Ihren nächsten Griechenlandurlaub. Aber wer will überhaupt noch verreisen, wenn er klaren Verstandes ist – und Grillparzer gelesen hat.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«