Humorkritik | Oktober 2023

Oktober 2023

»His wicked sense of humour / suggests exciting sex.«
Björk, »Venus as a Boy«

Berry statt Barry

Man soll ja, wenn nach ein paar probeweisen Dates mit einer Serie der Funke nicht überspringen will und man sich zu keiner langfristigen Bindung entschließen kann, ruhig auch mal die Sinnfrage stellen – lag es an ihr oder an mir? Im Fall der von Bill Hader ausgeheckten, kürzlich vollendeten Show »Barry« (HBO) bin ich da leider immer noch nicht schlauer. Denn so sehr ich Hader für seine famosen Parodien und für Figuren wie seinen Kriegsveteranen »Anthony Peter Coleman« schätze, der sich in zwei »Saturday Night Live«-Sketchen als Puppenspieler ausprobiert, so wenig konnte ich mit Haders über vier Staffeln ausgebreiteter Mär vom Profikiller, der auf seinen Durchbruch als Schauspieler hinarbeitet, etwas anfangen. Was hat mir die Freude an dieser üppig prämierten Show verhagelt? Das nie ganz zu unterdrückende Gefühl, man habe schon bei den Coen-Brüdern und ihren diversen Epigonen ausreichend schrullige Gangster, abrupte Gewaltausbrüche und existentielles Herumgeleide gesehen? Dass hier Komödie mal wieder nur deswegen kritikerseits nobilitiert wird, weil sie sich auf Teufel-komm-raus zur Tragödie strecken will? Oder dass derlei Klischee-Orgien, in denen es von narzisstischen Schauspielern wimmelt, möglicherweise von gebauchpinselten Insidern immer ein wenig zu enthusiastisch abgefeiert werden?

Dabei leugne ich keineswegs das komische Potential von rampenlichtsüchtigen Egomanen-Mimen – dafür leistet der stimmlich und darstellerisch imposante Engländer Matt Berry mit seiner Sitcom »Toast of London« (Channel 4) einfach zu gute Arbeit. Was Berry und sein Co-Autor Arthur Mathews seit 2012 in vier erfrischend kurzen Staffeln zu je sechs Folgen (plus einer Pilotfolge) geschaffen haben, ist ein ebenso derbes wie ausgelassenes Sammelsurium des Abseitigen – so eklektisch und maßlos, wie es der überlebensgroßen Persönlichkeit der Hauptfigur angemessen ist: Steven Toast wartet auf seinen endgültigen Durchbruch in Theater und Film, schläft mit der Frau seines Rivalen (die von ihrem Mann Geld für Sex nimmt), wird von seiner Agentin Jane zu Werbung für Abführmittel genötigt und wirkt zur Not auch mal in Streifen wie dem saudi-arabischen Propagandafilm »Prinz Philip, der Drecksack« mit, um die Miete zu zahlen. Dazwischen gibt’s surreale Musical-Einlagen, schräge Soundeffekte, einen nimmermüden Running Gag im Tonstudio und sehr lustige Zeitlupenstudien von Matt Berrys Gesicht. Steven Toast hat inzwischen auch in Hollywood so viele Fans gefunden, dass Stars wie Larry David und Paul Rudd für Gastauftritte hereinschneien und in Staffel 3 sogar ein Duell der Schmierenkomödianten zu bewundern ist, und zwar gegen Jon Hamm – mein Spaß an dieser Folge wird auch nicht dadurch geschmälert, dass sie wahrscheinlich nur erdacht wurde, um den Episodentitel »Hamm on Toast« unterzubringen. Soll sich »Barry« also ruhig bei seinem Therapeuten ausheulen – ich gelobe lieber Matt Berry bzw. dem Kollegen Steven Toast ewige Treue.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster