Humorkritik | Oktober 2023
Oktober 2023
»His wicked sense of humour / suggests exciting sex.«
Björk, »Venus as a Boy«
arbeiten arbeiten arbeiten
Eigentum von Wolf Haas steht auf dessen dennoch problemlos erwerbbarem neuen Buch, in dem der Erzähler Wolf von seiner Mutter Maria Haas erzählt, die nicht mehr viele Tage zu leben hat. Zwei sind es, um genau zu sein, das wird gleich zu Anfang verraten; bis dahin stellt der Erzähler leicht genervt fest, dass die Erinnerungen der Mutter die eigenen zu werden drohen: Unschön einerseits, da er eine Poetikvorlesung zu planen hätte und diese Erinnerungen, »lauter so Armuts- und Depressionsgeschichten«, ihm in all ihrer Tristheit ständig in die Quere kommen; schön andererseits, weil sie durch Haas’ Sprache, seine Wiederholungen und Kompositionstechnik doch ihren komischen Glanz erlangen. Es sind dies Wiederholungen, wie sie der Erzähler schon früh von der Mutter gehört hat und die ihn bereits im Kindesalter eines gelehrt haben: »Ein Gesang ist die Sprache, die ewige Wiederholung ein Remedium, um in unzähligen Waschgängen den schmerzhaften Sinn hinauszuwaschen aus dem Gesang.« Etwa aus dem Klagelied der Mutter, wonach sie, die Tochter eines Wagnermeisters, zeitlebens in die Klasse der Eigentümer hatte aufsteigen wollen, ihr die Inflation, die große Entwertung, aber das Geld hinmachte. Das Lied vom »sparen sparen sparen« und vom ewigen »arbeiten arbeiten arbeiten«; vom Krieg und davon, wie ihr später mit steigenden Quadratmeterpreisen die Immobilie immer weiter und weiter davongelaufen sei; dass das höchste der Gefühle der Umzug in die Wohnung in der Ortsmitte gewesen sei, neben die »Kirche, die unsere Wohnung den ganzen Tag in ein dunkles Loch verwandelte«, wo man aber vom Fenster aus immerhin das Familiengrab im »sonnigen Teil des Friedhofs« habe erspähen können.
Ausgerechnet jetzt, auf dem Sterbebett, gehe es der Mutter nach eigenem Bekunden einmal gut: »Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor ihrem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen. Wir waren die, denen es schlecht ging! Ich hatte mich daran gewöhnt, ich hatte mir die ewig gleiche Platte seit dem Tag meiner Geburt angehört. Schon in der Fruchtblase hatte ich mich eingeschwungen: Schlecht geht es uns. Jetzt ging es ihr auf einmal gut.« Sehr zufrieden sei sie sogar, erklärt sie wenig später leise, bis auf die Tatsache, dass sie immer noch da sei, lieber wäre sie schon gestorben, aber das dürfe man ja nicht sagen. Gerade noch kann sich der Erzähler die Entgegnung verkneifen, »sie solle mal nicht so dick auftragen, schließlich gehe es nur um den Tod«.