Humorkritik | Juni 2022
Juni 2022
»Wenn jemand fragt, wo hört Satire auf, würde ich sagen, das weiß ich nicht – aber ich weiß, wo sie aufhört, verstanden zu werden: direkt hier, am Zaun von meinem Nachbarn.«
Gerhard Polt (80)

Mit Grillparzer zum Stadion
Dass sich im Januar der Todestag Franz Grillparzers zum 150. Mal jährte, wusste ich gar nicht; vielmehr war ich über die Information, seine Erzählung »Der arme Spielmann« sei von Kafka so gut wie auswendig gewusst worden, auf den Prosaisten gestoßen, der als Dramatiker der »österreichische Nationaldichter« (Wikipedia) ist. Grillparzers erzählerisches Werk ist schmal, er hielt nicht viel von Prosa; doch angetan war ich von der Novelle »Das Kloster bei Sendomir« und regelrecht begeistert von seiner »Selbstbiographie«, die nämlich in komischer Hinsicht einiges bietet.
»Die Akademie fordert mich (nunmehr zum dritten Male) auf, ihr meine Lebensumstände zum Behufe ihres Almanachs mitzuteilen. Ich will es versuchen, nur fürchte ich, wenn sich das Interesse daran einstellen sollte, zu weitläufig zu werden. Man kann ja aber später auch abkürzen.« Gekürzt hat der Autor, der, lustig genug, aus einer biografischen Notiz eine Lebensbeschreibung macht, zum Glück nicht, er hat die Sache aber auch nicht abgeschlossen; das Fragment, in meiner Ausgabe rund 150 Seiten stark, erzählt die Geschichte eines begabten Grantlers und »eingefleischten Österreichers«, der seine Kunst zu einer Zeit betrieb, als man von ihr nur im Ausnahmefall leben konnte. Also ist Grillparzer auf niedere, im Zweifel quälende Beamtentätigkeit angewiesen, und selbst die müssen ihm Gönner wie der Graf Stadion verschaffen, über dessen Auftritte ich mich schon des guten Namens wegen so gefreut habe wie über Graf Wurmbrand, »der redlich in Italien für mein Bestes sorgen wollte, mich aber dadurch in alle späteren Verwicklungen stürzte«. So ging es oft.
Grillparzer, ein Sturschädel und Eigenbrötler, der sich seine Stücke nicht ansah, unverheiratet blieb und stets damit haderte, »wie ich immer in meinem Vaterlande behandelt wurde«, scheint allerdings ein tolles Talent dafür gehabt zu haben, sich unbeliebt zu machen und zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein: »Ich stand nunmehr sowohl mit dem gegenwärtigen als mit dem künftigen Kaiser in dem übelsten Verhältnisse, was für keinen Fall erfreulich ist.« Grillparzer sah sein »ganzes Wesen aus Bedenken und Unbesonnenheit zusammengesetzt«, und das ist freilich eine ungemütliche, tragikomische Kombination, wie mich die eigentümlich mürrische Ironie (»Ich ehre die deutsche Literatur, wenn ich mich aber erfrischen will, greife ich doch zu einer fremden«) samt erfreulich deutlichen Urteilen (»Ein feiges Publikum aber erzeugt endlich notwendig eine unverschämte Literatur«) so unterhalten hat wie eine soziale Unfähigkeit, die sich wohl selbst nicht von schlichter Unlust zu unterscheiden wusste: Zu Besuch in Weimar, ist Grillparzer bei Goethe eingeladen und bricht, als ihn der Meister an die Hand nimmt, zunächst in Tränen aus; eine Folge-Einladung lässt er dann aber unentschuldigt sausen, weil er nicht weiß, was er mit Goethe reden soll. Der nimmt es ihm, schon das zum Lachen, übel: »Er hat in der Folge dieser und jener in Schriften und Gesprächen erwähnt; meiner nie. Es scheint, er warf mich mit dem übrigen Gesindel zusammen.«
Diesen Fehler wollen wir nicht wiederholen.