Humorkritik | Juni 2022

Juni 2022

»Wenn jemand fragt, wo hört Satire auf, würde ich sagen, das weiß ich nicht – aber ich weiß, wo sie aufhört, verstanden zu werden: direkt hier, am Zaun von meinem Nachbarn.«
Gerhard Polt (80)

Toxio

Hin und wieder kann auch das Radio unterhalten. Dann ist es gut mitzuschreiben, damit man nicht überhört, wer einen da eben zum Lachen gebracht hat. Der Name Nis-Momme Stockmann etwa ist mir zum ersten Mal in Verbindung mit dem des Frankfurter Performance- und Musikduos »Les Trucs« aufgefallen, bestehend aus Charlotte Simon und Toben Piel. Aus der Zusammenarbeit dieser drei ergab sich vor zwei Jahren die so figurenreiche wie komische Hörspielgroteske »Der sich langsam WIRKLICH etwas seltsam entwickelnde Kongress der Thanatologen (2013)« – ja, die Jahreszahl gehört zum Titel – , in der auf einer Tagung der Bestattungsbranche ein vermeintlicher Mord aufgeklärt wird. Anarchischer Klamauk, dessen Entstehungszeit sich ungefähr an die des von Stockmann solo geschriebenen und vor kurzem in einer Radiobearbeitung gesendeten Theaterstücks »Das Imperium des Schönen« anschließen dürfte.

Die Konstellation des »Imperiums« ist simpel: Zwei Paare sind auf Familienurlaub in Japan und lassen kulturkritische bis romantisierende Klischees über das Land aufeinanderprallen. Es handelt sich dabei um Maja, eine Bäckereifachangestellte mit Faible für »philosophisch-existenzialistische« Betrachtungen, ihren Freund Matze, dessen Bruder Falk, der zu »japanischer Ästhetik« promoviert hat und sein Tokioter Appartement zur Verfügung stellt, sowie dessen Frau Adriana und zwei Söhne. Ein Japaner taucht dabei nur einmal auf, wegen einer Ruhestörungsbeschwerde. Das soziale Gefälle zwischen dem Einladenden (Falk), der in Sachen Urlaubsgestaltung Gehorsam erwartet, und den dankbaren Eingeladenen (alle übrigen) birgt bereits Zündstoff; komische Funken fliegen, wenn die Leute anders sprechen, als man es erwarten würde: So ist Hochschuldozent Falk frei von Manieren und mehr als prollig, viel eher würde man der über die Maßen geschliffen sprechenden Bäckerin Maja zutrauen, ein Seminar zu halten. Lachen musste ich, als die Eingeladenen bei einem staubtrockenen Referat der Zwillingssöhne – leidenschaftslose Erfüllungsgehilfen des Vaters – merken, dass sie früh am nächsten Morgen zu einer Tour durch die mit Heiligtümern gepflasterte Kaiserstadt Kyoto aufbrechen sollen; statt, wie erhofft, zum größten Elektronikmarkt Japans. Der Konflikt konzentriert sich bald auf Falk und Maja, bis Falk, unter Alkoholeinfluss und genervt durch die mutmaßlichen Sabotageversuche an seinem Ego, Maja eine Ohrfeige gibt.

Wenn Sie all das an Yasmina Rezas auch nicht unkomischen Theatertext »Der Gott des Gemetzels« erinnert, in dem die körperliche Gewalt freilich Ausgangspunkt ist, dann liegen Sie richtig. Hier wie da wird paarweise gestritten, hier wie da wird das Handy benutzt und sich übergeben. Während aber Rezas Titel ein bedrohlich archaisches Bild hervorruft, lädt das »Imperium des Schönen« in eine prachtvolle Feudalwelt ein, in der die Herrschaftsansprüche allerdings genauso durchgesetzt werden wollen. Das kann man als dramatisch-komischen Versuch zum autoritären Charakter sehen, aber auch als Beitrag zum Trendthema »toxische Männlichkeit« rund um einen gewaltbereiten Familientyrannen in der Gönnerpose.

(Allerdings muss man sich nicht jede kritische Betrachtung männlicher Toxizität ansehen: Von »Der Mann, der die Welt aß«, einem nach Stockmanns gleichnamigem Theaterstück entstandenen Filmdrama über einen selbstsüchtigen und -zerstörerischen Narzissten, hält mich bereits der Trailer ab, in dem es allzusehr ernstelt.)

»Das Imperium des Schönen« findet man im »Hörspielpool« des BR, den gleichermaßen empfehlenswerten Thanatologenkongress auf dem Online-Portal »Bandcamp«.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella
12.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »Ach was – Loriot zum Hundertsten«
12.05.2024 Kleinschönach/Bodensee, Kunsthalle Thomas Gsella
14.05.2024 Frankfurt, Goethe-Universität Martin Sonneborn