Humorkritik | Juni 2022
Juni 2022
»Wenn jemand fragt, wo hört Satire auf, würde ich sagen, das weiß ich nicht – aber ich weiß, wo sie aufhört, verstanden zu werden: direkt hier, am Zaun von meinem Nachbarn.«
Gerhard Polt (80)

Ich sehe was, was du nicht hörst
Es gibt Literatur fürs Auge, und es gibt Kabarett, Comedy und Poetry Slam. Schon beim Kabarett (Stichwort Dieter Hildebrandt) und bei der Comedy (Stichwort Rüdiger Hoffmann) konnte man feststellen, dass der Weg von der Bühne in ein Buch nicht jedem Text gut bekommt. Das kluge Auge sieht Dinge, die das dümmere Ohr nicht bemerkt. Und bei der Slam-Poetry-Poesie? Das im Satyr-Verlag erschienene »Kann denn Liebe Syntax sein?« des Slammers Philipp »Scharri« Scharrenberg hilft bei der Antwort.
»Wenn schon dichten, dann richtig – sonst kann man es auch lassen«, gibt er im Vorwort als Devise aus, aber richtig sind Rhythmus und Reim vieler Gedichte nicht. Trochäus (tam-ta) und Jambus (ta-tam) gehen durcheinander, manchmal grätscht ein Daktylus (tam-ta-ta), ein Anapäst (ta-ta-tam) oder ein Amphibrachys (ta-tam-ta) dazwischen; und manche Reime sind nicht dicht: Gut paart sich zwar das »weiße Blatt« mit »Scheiße satt« und, Stichwort Assonanz, der »Fötus« mit »Petrus«; aber Koppelungen wie »bibbert / lieb hat« oder »Zentimeter / Verbidentität« – nein, so geht es nicht; dann kann man’s wirklich lassen.
Lyrik ist oft ein Gran Verrücktheit beigemischt, weil der Reim- und Rhythmuszwang nicht jedes Mal mit dem Sinnzwang konform gehen kann. »Was heißt denn schon die Welt bedeuten? / Die Gesellschaft scheltend häuten?« lauten die ersten Zeilen des ersten Gedichts. Beim Häuten der Gesellschaft: hieß so nicht ein Buch von Günter Grass? Nicht ganz, aber Günter Grass häutete sich darin selbst bis auf den braunen Kern; bei Philipp Scharrenberg ist der Kern der Dichter Philipp Scharrenberg: Ob »Dichterduell« oder »Dichterweihe«, ob das Kleinepos »Von dem Verb, das ein Nomen sein wollte« oder die Heinz Erhardt weiterdichtende »Ballade von der Made«, der Dichter schreibt gern übers Dichten und verwandte Schreibtischtätigkeiten, wie sie z.B. »Der Nerd« ausübt; der Rest ist, was vom Alltag übrig bleibt. Wenigstens einmal gelingt es Scharrenberg da zu überraschen: mit der sauber pointierten »Berufswahl« eben nicht des Dichters, sondern eines Serienkillers. »Gefragt, durch welchen Dreh das Morden / Ihm denn zum Metier geworden, / Sprach er mit einem Quäntchen Lachen: / ›Ich wollte was mit Menschen machen.‹« Das, immerhin, sei mit einem Quäntchen Lächeln zitiert. Es muss ja nicht immer ein Quantum Lachen sein.