Humorkritik | November 2023

November 2023

»Zwangsoptimismus tötet den Humor, welcher ja am elegantesten ist, wenn er Schwarz trägt.«
Guillaume Paoli

Komische Schmerzen

Im 19. Jahrhundert an Syphilis zu erkranken war sicher nicht lustig. Deshalb fallen Alphonse Daudets Notizen über sein Leiden und Sterben an dieser »Lustseuche« und »Franzosenkrankheit«, auf Deutsch veröffentlicht unter dem Titel »Im Land der Schmerzen«, nicht primär ins komische Fach. Trotzdem verleitet der schmale Band zum (überwiegend mitfühlenden) Grinsen; etwa wenn der für sein reges Sexualleben bekannte Autor von einem Traum erzählt, in dem ihn das Jüngste Gericht wegen des »Verbrechens der Sinnlichkeit« zu dreitausendfünfhundert Jahren in der Hölle verurteilt. Auch die Behandlungsmethoden, denen sich Daudet unterzog, um seine Schmerzen loszuwerden, sind eigenwillig: Er ließ sich ein aus Meerschweinchen gewonnenes Wundermittel spritzen, bis dem Arzt die Meerschweinchen ausgingen, und baumelte in der trügerischen Hoffnung auf Linderung minutenlang an einem Kiefergurt.

Komisch sind diese Notizen auch dank der gnadenlosen Präzision, mit der Daudet die Aufenthalte in diversen Heilstätten sowie seine dortigen Leidensgenossen beschreibt. Die schwierigen Gespräche: »Man erinnert sich an keinen einzigen Namen; ständig sucht man; viele Gesprächspausen in der Unterhaltung. Bis zu zehn, um auf das Wort ›industriell‹ zu kommen.« Und die Mahlzeiten: »Es war mir verhaßt, meinen Tischnachbarn beim Essen zuzusehen; die zahnlosen Münder, das entzündete Zahnfleisch, die Spitze der Zahnstocher in den Tiefen der Backenzähne, die einen kauen auf einer Seite, die anderen rollen ihren Bissen hin und her, und dann die Wiederkäuer, die Nager, die Reißzähne!«

Die antiquarisch immer noch greifbare Ausgabe des Bremer Manholt-Verlags bietet als Bonus ein Vorwort und zahlreiche Fußnoten von Julian Barnes, die very British an keiner kuriosen Anekdote vorbeikönnen. Barnes zitiert den für seine unverblümten Diagnosen berüchtigten Arzt Jean-Martin Charcot: »Ihre Lage ist die eines Mannes, der in der Scheiße sitzt, während sich über seinem Kopf ein Säbel hin- und herbewegt. Sie können entweder ganz in die Scheiße eintauchen oder sich enthaupten lassen.« Und er ergänzt die Erinnerungen des kranken Mannes um eine denkwürdige Episode: »Daudet war so kurzsichtig, daß er einmal in dem festen Glauben, es handele sich um Edmond de Goncourt, eine Viertelstunde mit einer über den Stuhl geworfenen Decke redete.«

Immerhin komische Nebenwirkungen also. Und selbst die unlustigen, langwierigen Qualen des Syphilitikers bekommt Daudet noch pointiert gepackt: »Man muß viele Tode sterben, ehe man stirbt.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«