Humorkritik | Mai 2023

Mai 2023

»Ich habe durch mein ganzes Leben gefunden, daß sich der Charakter eines Menschen aus nichts so sicher erkennen läßt, wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er übel nimmt.«
Georg Christoph Lichtenberg

Ungefähr lustig

Die im Allgemeinen nicht sehr lustige Verfasstheit der Welt ist schuld daran, dass es sich bei politischer Lyrik, stammt sie nicht gerade von Thomas Gsella, selten um komische Lyrik handelt. Eine Ausnahme bildet der dichtende Kabarettist Marco Tschirpke, der sich in seinem 2015 erschienenen Lyrikband »Frühling, Sommer, Herbst und Günther« (Ullstein) als erfreulich alberner Reimschmied betätigt hat. Dessen Verse freilich – und ich beziehe mich hier v.a. auf das neue Bändchen »Dichten, bis ich Dresche kriege« (Eulenspiegel Verlag) – leider oft genug Rilkes Diktum »Er war ein Dichter und hasste das Ungefähre« die kalte Schulter zeigen, sich dem Ungefähren vielmehr hingeben und weder dem voreiligen Sprachbild widerstehen (»Paniert mit Skepsis gehn wir durch die Welt«) noch dem Zwang zum Wackelreim, der »Diagnose« zu »Soße« und »Peitsche« zu »schreit se« fügt. Auch geht der politische Furor mit Tschirpke durch; dass mir dabei das eine oder andere unangenehm aufstößt, das chronische Wessi-Bashing etwa und die Parteinahme für »den russischen Bären«: geschenkt, hier geht es um Komikkritik. Und die moniert, dass es viele, zu viele Gedichte gibt, in denen so manches nicht stimmt, weshalb sie denn auch an komischer Wirkung verlieren. Beispielhaft »Neuer Breitensport«: »Der Deutsche joggt. So plötzlich ist’s gekommen, / Als hätte sich ein Schalter umgelegt. / Das Grunzen eines Schweinehunds vernommen, / Erwacht er nun, damit er sich bewegt. / Umrundet sind bald sämtliche Gebäude: / Im Hamsterrad erwirbt man Kraft durch Freude«. Nun ist das Freizeitvergnügen Dauerlauf keineswegs ein »neues«, »plötzlich« aufgekommenes, in der Schweinehundzeile stimmt es grammatikalisch nicht, und ich frage mich, wer denn »der Deutsche« sein soll, der es da fertigbringt, »sämtliche Gebäude« zu umrunden – wenn sämtliche Einwände gestattet sind. Auch ob die NS-Parole »Kraft durch Freude« wirklich gut zum »Hamsterrad« passt, das doch eher für den Büro- und Arbeitsalltag steht als für das feierabendliche Gelaufe, sei dahingejoggt, äh: dahingestellt.

Tschirpkes Verlag beschreibt seine Texte als »Gedichte mit Pointen«, und immerhin: Ab und an treffen diese Pointen auch. Dann nämlich, wenn sie nicht bloß die Kritik auf die Spitze treiben wollen (Laufsport = Nationalsozialismus), sondern einen Sprung ins Überraschende tun. Siehe exemplarisch »Farewell«: »Deplaciert in jeder Hinsicht / Und der Mitwelt ein Fossil, / Steht der Kommunist im Abseits / Und erwartet nicht mehr viel. // Nicht für sich. Doch für die Menschheit / Hegt er Hoffnung. Ob zu Recht, / Weiß kein Gott und weiß kein Teufel, / Nicht mal Richard David Precht.« Nicht schlecht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt