Humorkritik | Mai 2023

Mai 2023

»Ich habe durch mein ganzes Leben gefunden, daß sich der Charakter eines Menschen aus nichts so sicher erkennen läßt, wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er übel nimmt.«
Georg Christoph Lichtenberg

Mode-Mentz

Viel zu wenig Beachtung findet die Zunft der Kostümbildner, die, wenn man erst einmal darauf achtet, die Film- und Serienkultur durch eine stetig wiederkehrende Auswahl immer gleicher Bekleidungskniffe um eine besonders öde Facette der Eintönigkeit bereichert. Hier interessiert mich natürlich primär die Darstellung von komischen, tumben, »durchgeknallten« und absonderlichen Figuren. Sie auch?

Da wäre zum Beispiel die zu große Jacke mit den weiten Ärmeln, die schon Dustin Hoffman in »Tod eines Handlungsreisenden« das Flair leicht überforderter Trotteligkeit verliehen hat. Von herausragend einfallsloser Penetranz ist auch der zugeknöpfte oberste (Polo)-Hemdknopf. Wir finden ihn selbstverständlich bei »Forrest Gump«. Er – der Knopf – ist das untrügliche und unverzichtbare Erkennungszeichen aller Autisten, Außenseiter, uncoolen Kids und sonstwie »Zugeknöpften«. Auch in der noch recht jungen TV-Serie »Tonis Welt« wird der Autist durch das Brandmal »Knopf« kenntlich gemacht. Das ist besonders geistlos, da ein bis oben geschlossenes Hemd ja längst in der Mainstreammode angekommen ist. Überschneidungen mit Autisten und Außenseitern sieht die Kostümbildnerbranche übrigens offenbar auch bei übersinnlich begabten Kindern, die natürlich auch alle den obersten Knopf schließen (»The Sixth Sense«).

Der Schlabbermantel kann, siehe »The Big Lebowski«, ein buchstäblicher Morgenmantel sein, kam aber auch schon bei den Wikingern vor (Floki in »Vikings«), signalisiert jedenfalls zuverlässig Nachlässigkeit in Kombination mit einer gewissen Unberechenbarkeit, eine schillernd-flattrige Bräsigkeit, weswegen er auch gerne in Form des (befleckten) Laborkittels verrückte Professoren ziert. Siehe hierzu etwa Emmett »Doc« Brown aus »Zurück in die Zukunft«, der im Verlauf der Trilogie auch noch Schlabber-Regenmäntel und Schlabber-Cowboymäntel trägt. Berechnende, kaltblütige Professoren tragen übrigens einen eng ansitzenden, gestärkten Kittel mit Stehkragen, eine Variante des coolen, unschlabbrigen Matrix-SS-Mantels. Das beginnt schon, wenn auch mit mehr Beinfreiheit, bei »Frankensteins Braut« von 1935 und setzt sich bis »Dune« und »Jurassic Park« fort. Man könnte von hier zu den Stehkrägen der uniformierten Bösewichter weitergehen, aber wir sind ja im komischen Fach.

Noch durchgeknallter als Schlabbermantelträger – richtige Freaks, die wahrscheinlich sogar Drogen nehmen – sind Personen, die peruanische Chullo-Mützen tragen, jene bunten Strickmützen mit Ohrenklappen und Bommel. Etwa Brandon »Badger« Mayhew in »Breaking Bad«. Komische, absonderliche oder durchgeknallte weibliche Figuren erscheinen im Mainstream-Film hingegen seltener. Wenn sie eher vergeistigt-verhuschter Art sind, tragen sie jedenfalls weiße Kleider und sind barfuß (»Nell«); sind sie eher unberechenbar und magisch aktiv, dann benötigen sie taillierte Kleider mit langen, enganliegenden Ärmeln (Bellatrix Lestrange aus »Harry Potter«).

Der Hans-Mentz-Sonder(lings)preis aber geht an »Die Schule der magischen Tiere«, allwo Mortimer Morrison einen Schlabbermantel mit weiten Ärmeln zu einer Ohrenklappenmütze trägt, während er dem Außenseiter der Klasse (Merkmal: zugeknöpftes Hemd) sein magisches Tier überreicht und die unberechenbare, magisch aktive Lehrerin Miss Cornfield ein Bellatrix-Lestrange-Kleid präsentiert. Chapeau, nein: Chullo!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hmmm, Aurelie von Blazekovic (»SZ«)!

Am Abend der Wahlen in Thüringen und Sachsen hatte die ZDF-Chefredakteurin Schausten dem 1. September 2024 den 1. September 1939 an die Seite gestellt, und dazu fiel Ihnen dies ein: »Das Dämonisieren von Rechtspopulisten hatte bisher keinen Erfolg. Egal, wie richtig es ist, dass die AfD gefährlich, radikal, extrem ist. Politiker, Journalisten, Demokratieverteidiger können das immer noch lauter und lauter rufen – aber es bringt nichts. Die berechtigten Warnungen sind inzwischen leere Formeln. Die Wahlergebnisse der AfD sind immer besser geworden, der Trotz immer erheblicher. Die Tatsache, dass sie sich beständig als Opfer von Medien inszenieren kann, hat der Partei genutzt. Es ist nicht die Aufgabe von Bettina Schausten, die AfD kleinzukriegen, sondern die der anderen Parteien. Sie sollten mal über den Tim-Walz-Weg nachdenken. Ist Björn Höcke etwa nicht weird

Ist er. Hitler war es auch, und ihn als »Anstreicher« (Brecht) oder inexistenten Krachmacher (Tucholsky) zu entdämonisieren, hat bekanntlich so viel gebracht, dass diese Sätze nie haben fallen müssen: »Man hat mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute Unzählige nicht mehr, und die jetzt noch lachen, werden in einiger Zeit vielleicht auch nicht mehr lachen.«

Wegweisend winkt Titanic

 Puh, Lars Klingbeil!

Gerade wollten wir den Arbeitstag für beendet erklären und auch die SPD mal in Ruhe vor sich hin sterben lassen, da quengeln Sie uns auf web.de entgegen, dass es »kein Recht auf Faulheit gibt«. Das sehen wir auch so, Klingbeil! Und halten deshalb jeden Tag, an dem wir uns nicht über Ihren Populismus lustig machen, für einen verschwendeten.

Die Mühe macht sich liebend gern: Titanic

 Stefan Schlatt, Reproduktionsbiologe an der Uni Münster!

Sie gaben im Zeit-Wissensteil ein ganzseitiges Interview, das wie folgt betitelt wurde: »Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes«. Eine billige Masche der Zeit, mit einer bizarren Überschrift Neugier zu wecken, das war uns sofort klar. Dennoch wollten wir natürlich wissen, in welchem Zusammenhang Sie das oben Zitierte von sich gaben.

»Der Testosteronspiegel des Mannes geht nur langsam zurück, vor allem, weil er im Alter immer dicker wird und nicht mehr so gesund ist wie mit 25. Dies zeigt sich dann an der Hormonproduktion im Hoden. Bergleute haben früher Kanarienvögel mit unter Tage genommen, die Alarm schlugen, wenn die Luft dünner wurde. Man könnte sagen: Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes.«

Wo sollen wir anfangen, Schlatt? Der Kanarienvogel diente Bergleuten als Indikator für die sinnlich nicht wahrnehmbare Gefahr der Kohlenmonoxidvergiftung. Diese soll in Ihrer Metapher wohl der niedrige Testosteronspiegel sein, der nicht etwa durch das Übergewicht, sondern nur durch den Hoden zu erkennen ist. Und das geschieht wie, Schlatt? Schlägt der Hoden Alarm, indem er laut zwitschert? Sind die Kanarienvögel unter Tage nicht vielmehr verstummt und tot umgefallen? Und was ist in Ihrer Analogie eigentlich der Käfig für den singenden Hoden?

Fest steht hier im Grunde nur eins: Bei Ihnen piept es gehörig – im Kopf und in der Hose.

Tirili: Titanic

 Adieu, Hvaldimir!

Adieu, Hvaldimir!

Als Belugawal hast Du Dich jahrelang vor der norwegischen Küste herumgetrieben und Dich mit Kameraausrüstung am Leib angeblich als russischer Spion betätigt, was Dir viel mediale Aufmerksamkeit und Deinen Decknamen, Hvaldimir, beschert hat. Jetzt bist Du leider tot in der Risavika-Bucht gefunden worden, und da fragen wir uns, Hvaldimir: Hast Du nicht rechtzeitig die Flossen hochbekommen, oder warst Du einfach nicht geübt in der Kunst des Untertauchens?

Mit einem Gläschen Blubberwasser gedenkt Deiner heute: Titanic

 Und Du, »Braunschweiger Zeitung«,

hast uns mit Deiner Überschrift »Diese beiden tödlichen Keime bekämpfen Forscher aus Braunschweig« einen kleinen Schrecken eingejagt. Viel lieber wäre uns in eh schon schweren Zeiten die Headline »Forscher aus Braunschweig bekämpfen diese beiden tödlichen Keime« gewesen.

Bitte auf uns arme Seelen achten, wünscht sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella