Humorkritik | Juli 2023

Juli 2023

»Es bringt nichts, die Weltlage mit Humor zu sehen.«
Joko Winterscheidt

Von Plomben & Schrauben

Selbstverständlich war das Tänzerische in Günter Grassens Altersgedichtwerk »Letzte Tänze« (2003) nur behauptet und konnte nicht die Verbissenheit überspielen, mit welcher der schnauzbärtige Kaschube versuchte, künstlerische und sexuelle Virilität zu demonstrieren. Dass Hans Magnus Enzensberger der viel fähigere Lyriker und geschmeidigere Intellektuelle war, ist keine neue Erkenntnis und rechtfertigt keine Humorkritik. Deren Anlass ist vielmehr mein Erstaunen über die souveräne Verspieltheit, mit der Enzensbergers letzte Gedichte, passend »Leichte Gedichte« (Insel) betitelt, dahertänzeln: so leicht, dass es ans Leichtfertige grenzt. Diese Lyrik fällt in mein Ressort, weil sie nämlich komisch ist, mehr noch: ausgesprochen albern. Da wird keck drauflosgedichtet, gesellt sich »Fleck« zu »der gute Doktor Hagenbeck«, oder es wird ein ganzes Gedicht lang penetrant auf »nix« gereimt. Da rumpelt und kracht es, da fragt ein Poem »Warum sind Binnenreime innen? Ein wahrer Unsinn«, während ein anderes dem Unterschied zwischen »Nägeln und Schrauben« nachsinnt und zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangt: »Wenn jemand darauf bedacht ist, / etwas zu befestigen oder aufzuhängen, / damit es nicht so leicht nach unten, / zu Erde und zu Boden, fallen möge, / dann ist der Nagel so primitiv / wie wirkungsvoll.« Überhaupt ist, was in den Gedichten erzählt wird, mitunter rechtschaffen kindisch: »Kein Obstbaum kann der Kälte trotzen. / Ein solcher Frühling ist bestimmt zum Kotzen. / Da hilft nur eines: schleunigst zu verreisen. / Der Kompass wird gewiß nach Süden weisen, / so wie in Weimar einst bei Dr. Goethe.«

Mir gefällt an diesen Texten, dass ihre Heiterkeit nicht behauptet wird, sondern »authentisch« zu sein scheint: Angesichts des Alterns, des schließlich sogar im Fall des dauerjugendlich wirkenden HME dann doch herannahenden und am 24.11.2022 erfolgten Ablebens, auch angesichts des dem Dichter nicht mehr zu nehmenden Ruhmes konnte sich Enzensberger sämtliche Freiheiten leisten und dem Ernst des Lebens und des Lebensendes trotzen. »Noch hast du Plomben und Brücken, / die deine Stümpfe halten. Die Taten / haben Früchte getragen und alle Illusionen / sind dir zerfallen.« Da hört es dann aber doch auf, lustig zu sein, und wir haben es allenfalls mit Galgenhumor zu tun. Aber auch der darf natürlich manchmal sein.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und Du, »Braunschweiger Zeitung«,

hast uns mit Deiner Überschrift »Diese beiden tödlichen Keime bekämpfen Forscher aus Braunschweig« einen kleinen Schrecken eingejagt. Viel lieber wäre uns in eh schon schweren Zeiten die Headline »Forscher aus Braunschweig bekämpfen diese beiden tödlichen Keime« gewesen.

Bitte auf uns arme Seelen achten, wünscht sich

Deine Titanic

 Interessant, was Sie da sagten, Erling Haaland (Manchester City)!

»Die besten Spieler sind die besten in den einfachsten Dingen. Mit der rechten Hand berühren und mit der linken passen. Das ist das Wichtigste. Pep sagt das immer wieder zu mir.«

Mit welcher Hand man dann das Tor erzielt, ist egal, meint im Gedenken an Diego Maradona Titanic

 Really, Winona Ryder?

Really, Winona Ryder?

In einem Interview mit der Los Angeles Times monierten Sie, dass einige Ihrer jungen Schauspielerkolleg/innen sich zu wenig für Filme interessierten. Das Erste, was sie wissen wollten, sei, wie lange der Film dauere.

Wer hätte gedacht, Ryder, dass Sie als Kind aus der Glanzzeit des Fernsehkonsums einmal die Nase rümpfen würden, weil junge Menschen möglichst wenig vor der Glotze sitzen und sich stattdessen lieber bewegen wollen? Davon abgesehen: Sind Sie sicher, dass sich die Abneigung gegen Cineastisches und das Verlangen, bereits beim Vorspann die Flucht zu ergreifen, nicht nur auf Werke beziehen, in denen Sie mitspielen?

Fragt sich Ihre Filmconnaisseuse Titanic

 Adieu, Hvaldimir!

Adieu, Hvaldimir!

Als Belugawal hast Du Dich jahrelang vor der norwegischen Küste herumgetrieben und Dich mit Kameraausrüstung am Leib angeblich als russischer Spion betätigt, was Dir viel mediale Aufmerksamkeit und Deinen Decknamen, Hvaldimir, beschert hat. Jetzt bist Du leider tot in der Risavika-Bucht gefunden worden, und da fragen wir uns, Hvaldimir: Hast Du nicht rechtzeitig die Flossen hochbekommen, oder warst Du einfach nicht geübt in der Kunst des Untertauchens?

Mit einem Gläschen Blubberwasser gedenkt Deiner heute: Titanic

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

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Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
09.10.2024 Lorsch, Theater Sapperlott Max Goldt
11.10.2024 Coesfeld, Stadtbücherei Gerhard Henschel
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella