Humorkritik | Juli 2023

Juli 2023

»Es bringt nichts, die Weltlage mit Humor zu sehen.«
Joko Winterscheidt

Wrights Vögel

Als der amerikanische Stand-up-Komiker Steven Wright nach »I Have a Pony« (1985) im Jahr 2007 sein zweites Comedy-Album »I Still Have a Pony« herausgebracht hatte, sagte er in einem Talkshow-Interview, damit habe er sein Karriereziel erreicht: in jedem Jahrtausend ein Album zu veröffentlichen.

Seitdem macht sich der Meister des trocken vorgetragenen Oneliners rar, viel zu rar. Gleichermaßen erfreut wie verunsichert war die Fangemeinde, als der 67jährige vor wenigen Monaten einen Roman ankündigte. Würden sich Ton und Witz, wie sie Steven Wrights oft absurde Kürzestgags auszeichnen (»Today I was … no, that wasn’t me«), auf der Langstrecke bewähren? Ich kann Entwarnung geben: »Harold« (Simon & Schuster) ist in weiten Teilen das, was man sich erhofft hat, eine Aneinanderreihung von Einzeilern, verdrehten Ideen, surrealen Szenarien, zusammengehalten von einer Handlung, die kaum als solche zu bezeichnen ist. Wir begleiten den siebenjährigen Titelhelden durch einen Tag in seiner Grundschule in Massachusetts und schauen ihm dabei in den Kopf. In diesem imaginiert Harold eine Art Fenster, ein Rechteck, durch das verschiedene Vögel fliegen, und jeder Vogel bringt eigene Gedanken mit, Gedanken, die für seine Lehrerin Ms. Yuka oder seine Mitschülerin Elizabeth schwer zu verstehen sind. Da stellt er sich zum Beispiel vor, wie der Erfinder der Handpuppe sich mit dem Erfinder der Marionettenpuppe prügelt, bis einer von beiden bewusstlos wird. Das ist oft urkomisch (»Harold wondered if bird angels would have four wings«), aber nicht durchweg; nicht selten driften die Tagträumereien ins Melancholische ab, die Frage nach Gottes Existenz wird öfter gestellt. Immer wieder denkt Harold, in dem man (das Buch spielt Anfang der sechziger Jahre) den kleinen Steven himself erkennen darf, an seinen schrulligen Großvater: »On his deathbed he wanted to be given the second to the last rites just to aggravate the system. And he never had a birth certificate and to give the finger to the rules of the world one last time he wanted his birth certificate to be awarded to him posthumously.«

So kindlich und simpel-naiv wird die meiste Zeit formuliert, mit Satzzeichen wird äußerst sparsam umgegangen, alles hat etwas sehr Stream-of-Consciousness-haftes, ohne dabei anstrengend zu werden. »Harold prayed that he was either insane or not insane. That way he knew his prayers would be answered. He didn’t pray to God, if there was a God, because he didn’t want to be a hypocrite. The End. Not really.«

Lesen!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön krank, »Taz«,

war Deine Berichterstattung zum krankheitsbedingten Rückzug von Kevin Kühnert aus der Parteipolitik. Einen Artikel zu diesem Thema hattest Du zunächst mit »Kevin Kühnert schmeißt hin« betitelt. Nachdem auf Social Media und in Deiner Kommentarspalte Kritik aufgekommen war, dass jemand, der erkrankt ist, nicht einfach »hinschmeißt«, ändertest Du Deine Überschrift in das neutralere »Kevin Kühnert tritt zurück«.

So ganz überzeugt, dass der Ex-SPD-Generalsekretär wirklich dolle erkrankt ist, schienst Du aber trotzdem nicht zu sein. Und so verkündetest Du nur einen Tag später in einem neuen Artikel, aus Parteikreisen erfahren zu haben, dass Kühnert »nicht lebensbedrohlich erkrankt, sondern vor allem psychisch angeschlagen« sei. Jetzt warten wir nur noch auf Deine Berichterstattung darüber, wie viel Steuergeld es uns kostet, dass der faule Kühnert seine ausgedachten Gebrechen auf dem Sofa bei einem »Gilmore Girls«-Bingewatch auskuriert!

Hüstel: Titanic

 Rock on, Wolfgang Bosbach!

Rock on, Wolfgang Bosbach!

Im Interview mit der Bunten träumen Sie davon, einmal in Ihrem Leben ein Coldplay-Konzert zu besuchen. Ja, sind die Ticketpreise denn mittlerweile derart durch die Decke gegangen, dass das Ersparte eines Rechtsanwalts und langjährigen Bundestagsabgeordneten nicht mal mehr für eine einzige Konzertkarte reicht?

Fragt milde schockiert Titanic

 Ja und nein, »Zoll Karriere«!

Recht hat Dein Werbeplakat in Zeiten geschlossener Grenzen sicherlich, wenn es eine junge Person abbildet und behauptet: »Wir sind die Generation Zoll«. Aber die Behauptung »Was uns ausmacht? Dass alle gleiche Chancen haben« wagen wir zu bezweifeln. Dass eben nicht alle bei der Grenzüberquerung gleich behandelt werden, ist ja im Grunde der Sinn der ganzen Kontrolliererei, oder nicht?

Stell Dir mal vor, die Generation Abfallentsorgung sagte: »Wir lassen den Müll, wo er ist«, die Generation E-Scooter definierte sich durch Zufußgehen oder die Generation »L’Amour toujours« fände nicht die Tiktok-Kanäle der Rechtsaußenparteien total brat!

Kontrolliert weiter alle Werbeplakate ganz genau:

Deine Generation Satire der Titanic

 Halt, Stromanbieter Ostrom!

Du kannst uns noch so oft auf Insta mit den vielen »reasons to join ostrom« kommen, unsere Treue gehört dem einzig wahren Rom: Westrom!

In diesem Sinne vale und semper fi von Deiner Imperialtraditionalistin Titanic

 Unzufrieden, »Deutschlandfunk Kultur«,

sind einer Deiner Instagram-Kacheln zufolge knapp 20 Prozent der Jugendlichen. Vor allem Zukunftsängste machen ihnen zu schaffen. Als serviceorientierter Wohlfühlsender hast Du aber direkt eine praktische Lösung parat, wie den jungen Leuten geholfen werden könnte. Und zwar, indem man ihnen in der Schule sogenannte Selbstregulationskompetenzen beibringe. Gut geeignet seien demnach zum Beispiel Yoga und Atemübungen.

Die aufkommende Panik einfach wegmeditieren? Zugegeben: Bei der Hilflosigkeit, die beim Gedanken an Verarmung, Klimakatastrophe und Faschismus aufkommt, keine abwegige Idee. Trotzdem schiene uns »Selbstregulation« ein irgendwie spaßigeres Konzept zu sein, wenn Du, Deutschlandfunk, es den Jugendlichen anhand der Konten von Milliardär/innen oder anhand leerstehender Luxuslofts beibrächtest!

Deine Revoluzzerkids von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Generation V

Meine fast 87jährige Mutter studiert den Fernsehteil der Tageszeitung. »Der Film würde mich glatt interessieren. Hier steht, der läuft in der ARD-Mediathek. Aber blöd, dass sie keine Uhrzeit dazuschreiben.«

Tobias Jelen

 Nachmittagstraum

Im Traum war ich der schlaue Fuchs aus der Werbung der Schwäbisch-Hall-Versicherung. Ich traf hier und da mal ein Reh oder einen Uhu. Manchmal begegnete ich Schnecken, denen ich Reihenhäuser aufschwatzen wollte. Die Schnecken gaben mir den Tipp, bei Gleichgesinnten zu akquirieren, Stichwort Fuchsbau und so, sie selber hätten ja alle schon ein Haus am Arsch. Irgendwann, so genau weiß ich es nicht mehr, traf ich wohl einen Förster, Jäger oder Waldarbeiter, dessen Bruder bei einer Bausparkasse arbeitete und der mir erzählte, die würden ein Tier für die Werbung suchen. Ich hatte dann richtiges Glück, dass Schwäbisch Hall mich genommen hat, denn der andere Fuchs, der zum Casting vor mir da war und eigentlich aufgrund seiner Schlagfertigkeit viel geeigneter gewesen wäre, hatte Gott sei Dank die Tollwut und wurde direkt, in meinem Beisein übrigens, eingeschläfert. Ich wurde dann aber direkt wach.

Uwe Becker

 Sprachchanges

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Wir verwenden in der deutschen Sprache immer öfter Anglicisms.

Jürgen Miedl

 Ungenießbar

Zu Beginn der kalten Jahreszeit wird einem ja wieder überall Tee angeboten. Ich kann das Zeug einfach nicht trinken. Egal wie viel ich von dem brühheißen Wasser nachgieße, ich schaffe es einfach nicht, den Beutel im Ganzen herunterzuschlucken.

Leo Riegel

 Schattenseite des Longevity-Trends

Ob ich mit fast 60 noch mal Vater werden sollte? Puh, wenn das Kind 100 ist, bin ich schon 160!

Martin Weidauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 28.10.:

    Das Schweizer Nachrichtenportal Watson preist den aktuellen Titel der Novemberausgabe im "Chat-Futter" an.

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
07.11.2024 Hamburg, Centralkomitee TITANIC-Boygroup mit Gsella, Sonneborn und Schmitt
07.11.2024 Leipzig, Kupfersaal Max Goldt
07.11.2024 Berlin, Haus der Sinne Heiko Werning & die Brauseboys und Hauck & Bauer