Humorkritik | Juli 2023
Juli 2023
»Es bringt nichts, die Weltlage mit Humor zu sehen.«
Joko Winterscheidt

Einen hab ich noch geklaut!
Gäbe es ein Comedy-Gericht, es hätte vor ein paar Monaten mal wieder einen Fall von Witzdiebstahl verhandeln müssen. In seiner »Late Late Show« hatte der scheidende Moderator James Corden nahezu wortwörtlich einen Gag aus dem Stand-up-Programm von Ricky Gervais übernommen. Die Reaktion des Plagiierten fiel besonnener aus als die von Twitter-Nutzern, in deren Augen Corden nach diversen öffentlichen Fehltritten ohnehin angezählt war. Witzdiebstahl mag kein Kavaliersdelikt (mehr) sein; interessanter als die Empörung ist freilich, was für unterschiedliche Auffassungen von der Ethik des Witzemachens hier zum Vorschein kommen – und wie die Betroffenen damit umgehen: Beispielsweise unterhält der Komiker Stewart Lee auf seiner Webseite mit der »Plagiarists’ Corner« bereits seit Jahren einen virtuellen Pranger für Pointendiebe bereit, um genüsslich alle zu denunzieren, die sich mit fremdem Gefieder schmücken, darunter Kollegen, Journalistinnen und den Labour-Vorsitzenden Keir Starmer. Sogar sich selbst zeigt Lee hier an, lustigerweise wegen einer James-Corden-Schmähung. Conan O’Brien wurde (stellvertretend für seine Autoren) wegen eines »Joke Theft« vor Gericht geladen, während Louis C.K. in seiner Meta-Sitcom »Louie« mit seinem mutmaßlichen Plagiator stritt.
Andere Stars der Zunft beteiligen sich gar nicht erst an der Debatte, wissen sie doch um die Realität in den Schreibstuben: Bevor so mancher Gag auf dem Teleprompter von Jimmy Fallon landet, dürfte er von den professionellen Honorarkräften schon anderswo feilgeboten worden sein; dass verschiedene Schreibteams mitunter auf ähnliche Einfälle kommen, ist zudem im tagesaktuellen Late-Night- und Satiresegment kein Wunder.
Im Fall der Witzklau-Debatte kann es daher nicht schaden, die Temperatur ein wenig zu drosseln. Zumal sich die Plagiatsjäger gelegentlich als moderne Wiedergänger der judäischen Volksfront bei Monty Python entpuppen, die sich ein Ideechen zu sicher sind, wer der wahre Feind ist: natürlich die Volksfront von Judäa bzw. Komikerinnen, deren vermeintliche Plagiate mit wesentlich mehr Eifer und Häme dokumentiert werden als die ihrer männlichen Kollegen. An Amy Schumer, die passablen Stand-up und mit »Inside Amy Schumer« seit zehn Jahren eine stellenweise famose Sketch-Show produziert, kleben die hartnäckigsten Trolle. Wie unlustig sie Schumer finden, belegen sie nicht nur mit aufwendigen Videozusammenschnitten der in ihren Augen dreistesten Witzplagiate, sie haben mit der »Try to laugh«-Challenge sogar ein eigenes Youtube-Genre ins Leben gerufen, das Frauen als witzlos denunzieren soll, aber eigentlich nur die eigene Humorlosigkeit und Borniertheit unterstreicht. Da filmt sich etwa Matt Walsh, ein einschlägig bekannter Kolumnist und Schwulenhasser, flankiert von Banjo, Präsidentenbiographien und gerahmten Sinnsprüchen an der Wand, minutenlang selbst dabei, wie er über die Darbietungen von Schumer, Hannah Gadsby oder Lilly Singh keine Miene verzieht, und fällt dann mit seinen eigenen dazwischengesetzten Pointenversuchen erbarmungslos auf die Schnauze. »Ich will hier gar nicht implizieren, dass Frauen nicht komisch sind«, versichert er etwa bei Sichtung einer Nummer von Samantha Bee, »ich sage es ganz offen und explizit. War nur’n Witz. Na ja, nicht wirklich. Aber irgendwie schon.« Spätestens an diesem Punkt plädiere ich ausdrücklich für die Entkriminalisierung des Witzeklauens. Denn ohne Angst vorm Erwischtwerden könnte sich sogar eine Trantüte wie Matt Walsh bessere Gags für seinen narzisstischen Schmarrn zusammensuchen.