Humorkritik | Oktober 2022

Oktober 2022

»Das Lächerliche ist so leicht zu schreiben, daß es eigentlich niemals mißlingen kann; unsre ernsthaftesten Schriftsteller geben das Beispiel.«
Friedrich Hebbel

The Queen is dead, long live the joke!

Tod, Beisetzung, Trauer haben immer einen komischen Unterton, gerade weil sie das Lachen tabuisieren. Handelt es sich um eine besonders bombastische Begräbnisfeierlichkeit wie jene, die Großbritannien im September tagelang heimsuchte, um den Staatsakt einer jahrtausendealten, grandios komikträchtigen Institution namens »Monarchie« also, dann sind Witze geradezu Pflicht. Oder sollten es wenigstens sein.

Doch die sonst so humorfreudigen Briten waren in den Trauertagen nach dem 8.9.2022 bemerkenswert zurückhaltend. Ernst war Bürgerpflicht, TV-Comedy ausgesetzt, ein paar demonstrierende Antimonarchisten wurden sogar festgenommen. Ob unter solch repressivem Reglement freche Memes überhaupt erlaubt waren oder direkt in den Tower führten, weiß ich nicht. Alt-Python Eric Idle jedenfalls spottete nicht über die verstorbene Queen, sondern über Trump: »Ich höre, er beansprucht bereits die Krone«. Sein Ex-Kompagnon Sir (!) Michael Palin zog es sogar vor, in aller Unterwürfigkeit den königlichen Sinn für Humor zu würdigen (»lovely to have a monarch who liked slapstick«). Auch John Oliver, (teil-)britischer Moderator der US-Satireshow »Last Week Tonight«, witzelte weniger über die Tote als über die in einer letzten Amtshandlung ernannte Premierministerin Truss, »eine Art Margaret Thatcher, die Klebstoff geschnüffelt hat«; was den britischen Ausstrahler Sky nicht davon abhielt, die Sendung zu zensieren und alle Jokes herauszuschneiden, die auch nur entfernt auf Elizabeth II. anspielten. Kollege Trevor Noah (»The Daily Show«) scherzte über Charles’ Alter (»der erste Monarch, der bei seiner Thronbesteigung einen Treppenlift braucht«), Deutschlands Satire-Prinz Böhmermann nutzte die Gelegenheit, um an die Sterblichkeit Putins zu erinnern. Memento boring. Geradezu klassisch hingegen der »Postillon«: »Britin (96) gestorben«.

Auch im Commonwealth wurde mehr gedacht denn gelacht. Scott Thompson, Queen-Parodist der kanadischen Komikgruppe »The Kids in The Hall« (TITANIC 7/22), dachte darüber nach, die Königin noch ein letztes Mal zu spielen, »vielleicht im Himmel, tanzend mit Diana«, oder »als Zombie«: »I think she’d like that because, from all you read, she did like to laugh.« Den einzigen richtigen Shit- bzw. Britstorm erlebte die australische Comedytruppe »The Chaser« mit vorbildlich geschmacklosen Gags, die mich – thank God! – tatsächlich zum Lachen reizten: »Dark Day: Nation in mourning after reading the words ›King Charles‹«; »JK Rowling furious to hear monarch has transitioned to a man«. Australienspezifisch ging es weiter (»Königin tot, Australiens Führung unverändert«, mit einem Foto des annähernd gleichaltrigen Medien-Diktators Rupert Murdoch), die Leserschaft wurde aufgefordert, ungültig gewordenes Geld »mit dem Gesicht der Queen« an die Chaser zu schicken, und auch die Neuauflage einer historischen »Saturday Night Live«-Line kam zum Einsatz: »Breaking News: Queen still dead«. Beispielhaft schließlich die »Entschuldigung« der Gruppe für all die Respektlosigkeiten: »Statement: Sometimes in comedy you put a foot wrong. Last night we tweeted some things in the heat of the moment that on reflection were still very funny«. I agree.

Die Königin ist immer noch tot, und Australien rettet die Ehre des britischen Humors. Mit Trauer erfüllt mich die Aussicht, dass die Australier sich alsbald aus dem Commonwealth verabschieden könnten. Wer lacht dann noch über King Charles?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster