Humorkritik | Juni 2022

Juni 2022

»Wenn jemand fragt, wo hört Satire auf, würde ich sagen, das weiß ich nicht – aber ich weiß, wo sie aufhört, verstanden zu werden: direkt hier, am Zaun von meinem Nachbarn.«
Gerhard Polt (80)

Jawoll, noch ein Ausgang!

Daniela (Daniela Fehrenbach) isst Sprühsahne direkt aus der Dose. »Sahne ist mein Leben« ist ihre »Family Story«. Das Publikum erkennt nicht immer, dass die Darstellerin dieser Scripted-Reality-Serie nicht identisch mit ihrer Rolle ist: »Wie kann man sich nur so lächerlich machen. Abartig!!« kommentiert eine Zuschauerin auf Facebook; »Indem man nach Drehbuch handelt«, klärt Fehrenbach. Noch deutlicher wird sie in der Serie selbst, wenn sie einen Wohnwagen und damit zugleich das Konzept der Sendung zerlegt.

»Family Stories«, zwischen 2011 und 2015 in drei Staffeln für RTL2 produziert, handelt von Figuren, die süchtig nach einem bestimmten Lebensmittel sind. Die Asozialität der Haupt- soll dabei von jeweils einer Nebenfigur bezeugt werden; in Danielas Fall ist das ihr bester Freund Dirk, der sie bei jedem Zusammentreffen beleidigt. Irgendwann fliegt Daniela aus ihrer Wohnung und kommt in einem alten Wohnwagen unter, der schon zu diesem Zeitpunkt deutliche Mängel aufweist. Auf der Suche nach ihrem Sahnevorrat gehen weitere Teile zu Bruch, und Daniela ruft: »Jawoll, noch ein Ausgang!« Die anschließenden Maßregelungen durch Dirk beantwortet sie mit der kompletten Zerstörung des Wohnwagens. Eine Orgie der Gewalt: »Jeder Zentimeter, wo zerkleinert war, der tat mir richtig in der Seele gut.« Schon nach sechs Minuten hat es Daniela geschafft. »Das Ding wurd’ immer kleiner und kleiner. Ich hab’ richtig Gefallen daran gefunden.«

Daniela, immerhin schon achtundzwanzig Jahre alt, weigert sich, den Erwartungen an eine Erwachsene gerecht zu werden. Die Menschen in ihrer Umgebung können das nicht verstehen und sanktionieren ihr Verhalten; Danielas scheinbar selbstzerstörerische Strategie entspricht dabei der (verbalen) Gewalt, der ihre Figur ausgesetzt ist. Komik entsteht, wenn Darstellerin Fehrenbach ihr Spiel übertreibt, ihren Text besonders lustlos vorträgt, bis hin zur völligen Unglaubwürdigkeit. Mit Sätzen wie »Überall wo man reingeht oder hinläuft, irgendwas zerlegt sich immer – ups«, bringt sie lakonisch zum Ausdruck, sich ihrer Position bewusst zu sein, entzieht sich der Opferrolle und lässt Wohnwagen und Serienkonzept krachend hinter sich zusammenfallen: »So, noch ’ne Tür – auch nicht schlecht.«

Ausgewählte Folgen von »Family Stories« sind jetzt auf Youtube zu sehen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

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Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«