Humorkritik | Januar 2022
Januar 2022
»was?! glaubt ihr denn ich hätte keinen scheisshumor? Da seid ihr aber verdammt schief damit ….! verdammt schief! verdammtverdammt verdammt verdammt schief …! gottverdammt schief …. schief!! ich versteh … zwar kein sterbenswörtlein mehr … aber humor … humor habe! Das muss mir der neid lassen!«
Oswald Wiener, »die verbesserung von mitteleuropa, roman«
Über Übernatürliches
Seine Serie »The Office« lobte ich als »Meisterleistung« (TITANIC 5/2003), den Nachfolger »Extras« als »Viertausender im Comedy-Gebirge« (TITANIC 4/2007); zum Stand-up-Werk von Ricky Gervais habe ich mich bislang nicht geäußert. Was hiermit nachgeholt sei.
Mein Urteil: Auch in diesem Genre (aktuelles Programm: »SuperNature«) setzt der zweifache Emmy-Gewinner auf das aus seinem Serienschaffen bekannte Rezept der Cringe-Comedy: Unpassendes Verhalten, Peinlichkeiten, inakzeptable Aussagen und das Brechen sozialer Normen sollen Fremdscham, ergo Komik und Katharsis auslösen. Eingebettet in die Figurenrede der hervorragend ausgearbeiteten Charaktere seiner Serien ist das von großer komischer Wirkung; Gervais als Stand-up-Bühnenfigur hat damit Probleme. Denn einerseits sucht und findet er die Grenzüberschreitung (»Satiriker können nicht nur nach oben zielen, sie müssen auch manchmal nach unten schlagen. Zum Beispiel, wenn sie ein behindertes Kleinkind verprügeln wollen«), arbeitet sich an Themen wie Aids, Hitler, Krebs ab und spart auch Minderheiten nicht aus (denn »immerhin gehöre ich selbst zu einer Minderheit – jener der weißen, heterosexuellen Millionäre«). Andererseits will er diese seine Gags erläuternd einordnen und erklärt am Anfang des Programmes, was Ironie ist und dass es nun sehr ironisch zugehen werde, was man sich auch von keiner beleidigten Twitter-Bubble verbieten lasse. Ein Disclaimer, der vielleicht heute nötig ist, den aber zumindest ich nicht gebraucht hätte.
Die stärksten Momente des Abends sind denn auch jene, in denen keine Social-Media-Entrüstung vorwegbehauptet wird. Etwa dann, wenn der 60jährige bekennende Vielfraß von seinen Gesundheits-Checks erzählt oder als Atheist über Gott spricht: »Wozu Übernatürliches? Die Natur ist verrückt genug. Wozu müssen wir so etwas Absurdes wie Gott erfinden? Ein Krake hat acht Arme, drei Herzen und einen Schnabel. Braucht es wirklich noch Surrealeres?«
In Deutschland tritt Gervais mit »SuperNature« leider nicht auf. Allerdings wird das Programm bei Netflix zu sehen sein, bedauerlicherweise noch ohne Veröffentlichungstermin. Dortselbst erscheint demnächst auch die dritte Staffel der Gervais-Serie »After Life« (TITANIC 6/2020), von der ich mir die Bezwingung eines weiteren Viertausenders erhoffe. Sein Bühnenprogramm hingegen? Na, nennen wir es eine solide Wanderung über einen Stand-up-Hügel.