Humorkritik | Januar 2022

Januar 2022

»was?! glaubt ihr denn ich hätte keinen scheisshumor? Da seid ihr aber verdammt schief damit ….! verdammt schief! verdammtverdammt verdammt verdammt schief …! gottverdammt schief …. schief!! ich versteh … zwar kein sterbenswörtlein mehr … aber humor … humor habe! Das muss mir der neid lassen!«
Oswald Wiener, »die verbesserung von mitteleuropa, roman«

Diagonal auf der Couch

Komisch, in der ganzen Unschärfe dieses Wortes, sind wissenschaftliche Schriften, die die Wirkung von Humor aus psychologischer Sicht betrachten. Kürzlich etwa wurde von der »American Psychological Association« (APA) eine Studie zur Wirkung von Memes veröffentlicht. Die Frage lautete, ob der Konsum von Memes Stress reduzieren kann, und zwar entweder allgemein oder auf Covid-19 bezogen (Spoiler: ja, kann er, und zwar besonders, wenn etwas Niedliches wie ein Tier oder Kind oder Tierkind mitspielt). Hierfür wurden die gleichen Bilder jeweils mit einem Covid-Text und einem allgemeinen Untertitel versehen. Das Problem: In einer wissenschaftlichen Veröffentlichung postet man keine Memes, dennoch mussten die Bildchen dargestellt werden. Der Effekt: Die ernsthaft-objektive Beschreibung dieser kleinen Netz-Aufheiterer läuft deren Funktionsweise so zuwider, dass es lustig wird.

»Bild: Nahaufnahme einer kleinen Katze mit bedrohlichem Blick. Covid Untertitel: Neue Studie bestätigt, dass Katzen kein Covid-19 verbreiten können, aber es täten, wenn sie könnten. Nicht-Covid Untertitel: Neue Studie bestätigt, dass Katzen Ihr Auto nicht sabotieren können, aber es täten, wenn sie könnten.« Die Pointe auch noch in verschiedenen Varianten zu wiederholen, macht den Witz ganz wunderbar kaputt – und zeigt zugleich, wie sehr die Wirkung eines Memes von seinem nonverbalen Anteil abhängt: Das Kätzchen wird wohl recht drollig sein, nur nützt es eben nix, wenn einem das lediglich mitgeteilt wird. »Zwei Katzenbabies, die diagonal zueinander auf einer Couch liegen und sich voneinander abwenden« bzw. ein kleiner Welpe, »dessen Körper zur Hälfte vom Rand einer Kiste herabhängt und der gelangweilt aussieht«: wie viele Wörter, um unzureichend auszudrücken, was ein kurzer Blick offenbaren würde! Freilich trifft man auch alte Bekannte: »Ein Mann (mit ›F‹ überschrieben) guckt nach einer Frau in einem Kleid (mit ›ood‹ überschrieben) während er die Hand einer Frau hält, die empört guckt (mit ›itness‹ überschrieben).« Wer das Meme nicht kennt, wird erhebliches Hirnschmalz aufwenden müssen, um es sich vorzustellen und die Pointe darin zu begreifen.

Nun haben die Forscher auch noch zur Kontrolle einigen Teilnehmern neutrale Texte ohne Bilder gezeigt. »Von Katzen wird oft angenommen, dass sie weniger an ihre Besitzer gebunden sind als andere Arten von Haustieren.« – »Es ist oft verlockender, zu essen als zu trainieren.« Ja, danke für die Information! Die Vorstellung, dass jemand erwartet, ein süßes Katzen-Meme zu sehen, stattdessen diesen Satz von der Trockenheit eines Dinkel-Knäckebrotes zu lesen kriegt und danach aufwendig sein Stresslevel vor und nach dieser bahnbrechenden Lektüre untersucht bekommt – ich finde sie witzig.

Wenn das Fazit der Studie dann derart geistlos und vernünftig klingt: »Zusammengefasst liefert diese Studie erste Evidenz dafür, dass Memes nicht nur belangloser Spaß sind; sie sind potentiell hilfreich bei der Bewältigung einer globalen Pandemie … Memes könnten als sehr günstiges und leicht zugängliches Potential für Bewältigungsbemühungen genutzt werden« – ja, dann steht einem der Sinn doch gleich nach einem anarchistischen, belanglosen Spaß, den keiner als Potential für irgendwas nutzen kann. Vielleicht finden Sie so etwas in diesem Heft.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Stefan Schlatt, Reproduktionsbiologe an der Uni Münster!

Sie gaben im Zeit-Wissensteil ein ganzseitiges Interview, das wie folgt betitelt wurde: »Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes«. Eine billige Masche der Zeit, mit einer bizarren Überschrift Neugier zu wecken, das war uns sofort klar. Dennoch wollten wir natürlich wissen, in welchem Zusammenhang Sie das oben Zitierte von sich gaben.

»Der Testosteronspiegel des Mannes geht nur langsam zurück, vor allem, weil er im Alter immer dicker wird und nicht mehr so gesund ist wie mit 25. Dies zeigt sich dann an der Hormonproduktion im Hoden. Bergleute haben früher Kanarienvögel mit unter Tage genommen, die Alarm schlugen, wenn die Luft dünner wurde. Man könnte sagen: Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes.«

Wo sollen wir anfangen, Schlatt? Der Kanarienvogel diente Bergleuten als Indikator für die sinnlich nicht wahrnehmbare Gefahr der Kohlenmonoxidvergiftung. Diese soll in Ihrer Metapher wohl der niedrige Testosteronspiegel sein, der nicht etwa durch das Übergewicht, sondern nur durch den Hoden zu erkennen ist. Und das geschieht wie, Schlatt? Schlägt der Hoden Alarm, indem er laut zwitschert? Sind die Kanarienvögel unter Tage nicht vielmehr verstummt und tot umgefallen? Und was ist in Ihrer Analogie eigentlich der Käfig für den singenden Hoden?

Fest steht hier im Grunde nur eins: Bei Ihnen piept es gehörig – im Kopf und in der Hose.

Tirili: Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Grüß Gott, Söder!

Grüß Gott, Söder!

Wie schlossen Sie Ihr Statement vor dem israelischen Generalkonsulat in München, wenige Stunden, nachdem ein 18jähriger mit einem Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett auf dieses geschossen hatte und daraufhin von der Polizei erschossen worden war? Sie sagten: »Nochmals vielen Dank an alle Beteiligten!« Der Hauptbeteiligte, das war freilich der Attentäter – Ihre Danksagung lässt also tief blicken! Denn was täten Sie ohne durchgeknallte Islamisten mit anachronistischer Bewaffnung, die vom Rückstoß eines historischen Repetiergewehrs beinahe umgeworfen werden und von Ihrer Polizei spielend leicht umgenietet werden können?

Aber Obacht! Nicht dass Sie sich beim nächsten Mal zu noch offenherzigeren Reaktionen hinreißen lassen und zum Abschluss »So ein Tag, so wunderschön wie heute« anstimmen. Könnte möglicherweise missverstanden werden!

Meint Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Schrödingers Ruhebereich

Wenn es im Abteil so still ist, dass ein Fahrgast einschläft und dann übertrieben laut schnarcht.

Loreen Bauer

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
15.10.2024 Tuttlingen, Stadthalle Hauck & Bauer und Thomas Gsella
16.10.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Max Kersting und Maria Muhar
16.10.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
16.10.2024 Frankfurt, Buchmesse TITANIC auf der Frankfurter Buchmesse