Humorkritik | Juni 2020
Juni 2020
You have to know where the funny is, and if you know where the funny is, you know everything.
Sheila Heti
Todernster Spaß
Fast hatte ich Ricky Gervais nach seinen letzten Stand-up-Specials, Golden-Globes-Moderationen und der Handicap-Sitcom »Derek« schon aufgegeben: Immer liebloser empfand ich seine Methode, stets den kürzesten Weg zur Empörung einzuschlagen und Provokation um der Provokation willen zu betreiben. Seine hochgelobte Netflix-Serie »After Life« um einen galligen Witwer schien mir denn auch ein durchschaubares Mitleidheischen, ein trostloser Exkulpationsversuch zu sein (vgl. "Oliver Nagel: Girl-Power in Britcoms" in TITANIC 12/19): Sollte der »Office«- und »Extras«-Schöpfer mit noch nicht mal 60 zu einem jener verbitterten männlichen Lästermäuler à la Chevy Chase geschrumpft sein, die ihre Kritiker(innen) wahlweise als hypersensibel abkanzeln (»Are you offended?«) oder ihnen vorwerfen, schlicht Genie nicht zu erkennen?
Nach Sichtung der zweiten Staffel »After Life« und etlicher Interviews darf ich bilanzieren: So arg ist es doch nicht bestellt. Tony Johnson, die von Gervais verkörperte Hauptfigur in »After Life«, ist kein Zyniker, für den wir Empathie entwickeln sollen, weil ihm etwas Furchtbares zugestoßen ist – seinem Schöpfer zufolge ist es andersherum: Um einen herzensguten Schelm handelt es sich, der sich erst mit dem Tod der Liebe seines Lebens in eine Rolle gedrängt fühlt: Die Gesellschaft erwarte von ihm, dass er sich nun, da es nichts zu verlieren noch zu gewinnen gebe, als pöbelnder Griesgram geriert.
Ich hatte mich vorher gewundert, warum es überhaupt eine neue Staffel geben sollte, war das Schicksal des depressiven Zeitungsredakteurs in den ersten sechs Episoden doch auserzählt, aber mit dem Ausarbeiten seiner intrinsischen Motivation fühlt sich die Serie deutlich runder an – und, noch wichtiger: Es gibt viel mehr zu lachen, denn die bekannten exzentrischen Nebencharaktere sind noch pointierter geschrieben, und die neu hinzugekommenen stehen ihnen in nichts nach. Fucking ’ell! möchte man mit Tony Johnson ausrufen – anerkennend.