Humorkritik | Juni 2020

Juni 2020

You have to know where the funny is, and if you know where the funny is, you know everything.
Sheila Heti

Wenn ein Pfahlbauer Kalauer hört

Der Österreicher Andreas Okopenko, geboren 1930 und gestorben vor genau zehn Jahren, im Juni 2010, war ein witziger Autor. Das gilt meiner allerdings schon einiger Zeit zurückliegenden Lektüreerinnerung nach vor allem für sein berühmtestes Buch »Lexikon einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden« (1970), kurz »Lexikonroman«, das, wie es der Titel andeutet, in Form eines Lexikons aufgebaut ist und seine Leserschaft einlädt, sich nach eigenem Gusto von Stichwort zu Lemma zu hangeln, bevorzugte Protagonisten zu küren und unter aktiver Mitwirkung eine ganz eigene Textversion zu erschaffen, wozu u.a. auch »Raum für einschlägige Erinnerungen« in Form einer leeren Seite zur Verfügung gestellt wird. Das ist zumindest eigenwillig; oder auch eigensinnig – womit ich mich meinem Thema nähere. Denn die Gelegenheit zu prüfen, ob Okopenko auch über den Lexikonroman hinaus ein lustiger Schriftsteller war, verschafft mir nun die beim Verlag Jung und Jung in der Reihe »Österreichs Eigensinn« aufgelegte und recht zeitgeistig »Ich hab so Angst, dass die Chinesen kommen« betitelte Auswahl von zwischen 1957 und 1973 erschienenen Okopenko-Gedichten. Und ja, auch darunter sind komische bzw. komische Zeilen enthaltende. Es gibt originelle Einzelformulierungen (»Die Bäumin, die Birke«), vor allem aber wird munter bis manisch drauflosgedichtet: Da reimt sich »Rauchverzehrer« auf »Landvermehrer«, »Swissair« auf »bisher«, und steht alles in einer gewissen Nonsens-Tradition: »In zehn Monaten ist wieder Frühlingsbeginn / Da tritt aus dem Tor eine Chemikerin / Sie denkt an die Schwalben, an Salben und Löslichkeit von Eosin. / Ich sage es jetzt schon und nicht erst dann: / Diese Chemikerin geht mich nichts an.«

Es ist dies allerdings eine Komik, die mir typisch für die 1960er-Jahre ff. zu sein scheint: eine auf avantgardistischen Sprachspielen basierende experimentelle und mithin nicht unanstrengende bzw. angestrengte Manier, wie es sie in Form der Konkreten Poesie und bei den Autoren der Wiener Gruppe gab, geprägt von surrealistischen Techniken wie dem Automatischen Schreiben oder dem Absurden, etwa von den Scherzen, wie sie Ionesco in seinem Stück »Die kahle Sängerin« en suite gegeben hat. Okopenko reiht en suite entsprechende Sprachbilder, die dann so klingen: »Wenn ein fahlblauer Pfahlbauer Kalauer hört / und ein Schlauer die Arealmauer kehrt«. Das ist auf Dauer, noch einmal, ein bisschen ermüdend, und ich frage mich, ob Okopenko so etwas im Schweiße seines Angesichts in die Schreibmaschine gemeißelt hat oder ob es ihm im heiteren Wohlgefallen aus der Feder floss. Dass es zur selben Zeit andere gab, denen ich unterstelle, bei ihrer Komikproduktion unzweifelhaft Spaß gehabt zu haben, die Dozenten der Neuen Frankfurter Schule nämlich, und dass mir deren komische Kunst insgesamt besser gefällt, dürfte meiner Leserschaft bekannt sein.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Du, »MDR«,

gehst mit einer Unterlassungserklärung gegen die sächsische Linke vor, weil die im Wahlkampf gegen die Schließung von Kliniken plakatiert: »In aller Freundschaft: Jede Klinik zählt.« Nun drohen juristische Scharmützel nebst entsprechenden Kosten für beide Seiten. Wie wäre es, wenn die Linke ihr Plakat zurückzieht und im Gegenzug nur eine einzige Klinik schließt? Die Ersparnisse dürften gewaltig sein, wenn die Sachsenklinik erst mal dichtgemacht hat.

Vorschlag zur Güte von Deinen Sparfüchsen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster