Humorkritik | Juni 2020

Juni 2020

You have to know where the funny is, and if you know where the funny is, you know everything.
Sheila Heti

Einfache Rauchzeichen

Eine Humorkritik kann man auch in Einfacher Sprache schreiben. Einfache Sprache heißt: »Wir benutzen einfache Wörter. Wir schreiben einfache Sätze.« So einfach sagt es Hauke Hückstädt. Er hat das Buch »LIES! Literatur in Einfacher Sprache« herausgegeben. Es ist im Piper-Verlag in München erschienen, einer Stadt in Bayern. 13 Frauen und Männer haben für das Buch 15 Geschichten geschrieben. Sie heißen Alissa Walser, Kristof Magnusson, Nora Bossong und noch anders.

Auch ein Buch kann man also in Einfacher Sprache schreiben. Auch »komisch erzählen«? Der Klappentext behauptet es. Annähernd komische Stellen hat es tatsächlich, zum Beispiel, wenn ein türkisches Dorf das Opferfest feiert: »Ich sehe zu, wie aus den Kühen immer kleinere Stücke werden.« Oder wenn ein Autor einen Gedankenblitz hat: »Auf einer geraden Straße kann man sich nicht verirren.« Das ist eine schöne Merkregel. Aber die meisten Texte sind dann doch nicht komisch.

Immerhin, eine Ausnahme gibt es: Maruan Paschen. Sein Text »Splitter« besteht aus vielen ganz kurzen Geschichten, eine davon heißt »Mann ohne Namen«: »Den Kopf in die Kissen gelegt, geht er heute nicht mehr aus. Seinen Namen werden wir nie erfahren.« Oder der »Kuss«: »Unter einer Trauerweide küssen sich zwei, dann essen sie Pommes Frites, dann küssen sie sich wieder.« Eine dritte Geschichte, »Rauchzeichen« betitelt, lautet so: »Im Winter geht ein Mann spazieren und atmet kleine Wolken aus, weil es so kalt ist. Ein anderer Mann sieht die Wolken, sonst sieht sie niemand. Der andere Mann ist ein Indianer und versucht die Wolken zu lesen, als wären es Rauchzeichen. Aber der erste Mann atmet nur Blödsinn.« Das hat was von Ror Wolf und ist in seiner Kürze nicht infantil, sondern lakonisch. Die anderen Autoren hingegen schreiben lange Texte mit kurzen Sätzen; das ermüdet, es fehlt die Abwechslung. Es fehlt sogar noch mehr: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« Das hat bekanntlich Ludwig Wittgenstein gesagt. Ich würde ergänzen: Die Grenzen der Einfachen Sprache bedeuten die Grenzen einer Kinderwelt. Und die Autorin Anna Kim ist sogar selbst noch ein kleines Kind: 1977 wurde sie in Südkorea geboren, aber, so schreibt sie, »seit ich zwei Jahre alt bin, lebe ich in Österreich und Deutschland.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg