Humorkritik | Februar 2022

Februar 2022

»Der Humor ist nie humoristischer, als wenn er sich selbst erklären will.«
Friedrich Hebbel

Ein Raum, in dem gelacht wird

Dass Studenten keinen geraden Satz mehr zu Papier brächten, ist eine häufiger zu hörende Klage, und ein Vergnügen ist es vermutlich nicht, etwa Examensarbeiten zur »schmalen Gradwanderung« zwischen jüdischem Witz und Judenwitz korrigieren zu müssen, der Grenze »zwischen jüdischer Selbstironie und Antisemitismus«: »Falls und sobald sich jüdische Selbstironie zu weit in Richtung Antisemitismus bewegte, lief sie ernsthaft Gefahr, eine instabile politische Lage zu schaffen, die für die Juden nicht mehr lustig war … Im dunklen Licht der dialektischen Kritik Benjamins wäre die Umkehr von jüdischer Selbstironie in Antisemitismus nur eine weitere Fallstudie in dieser Dialektik von kulturell/barbarisch – nämlich die Umwandlung der jüdischen Karikatur bzw. des jüdischen Witzes als Kulturgut zum bösartigen Symptom im Dienst der antisemitischen Barbarei.«

Ein Kulturgut als Symptom im Dienst von Barbarei – nein, ein »sehr gut« wird das nicht, zumindest nicht von mir, der sich nur zu gern »der jüdischen Witztechnik des Drehs«, nämlich »der komischen Umkehr oder Inversion« befleißigt und hier dem Professor Louis Kaplan, Ordinarius für Geschichte und Fotografie- und Medientheorie an der Universität Toronto, ein Ausreichend ausstellt. Oder sagen wir: ein Befriedigend, denn an Material mangelt es seiner in der Anderen Bibliothek erschienenen Studie »Vom jüdischen Witz zum Judenwitz. Eine Kunst wird entwendet« nicht. Eher an der Fähigkeit, dieses Material zu ordnen und zu verdichten; von dem sprachlichen Gefuchtel, an dem die Übersetzung ihren Anteil haben mag, zu schweigen. Man erfährt zwar viel über das dunkle Licht der Dialektik, mithin darüber, dass und wie sich Antisemitismus im 20. Jahrhundert beim jüdischen Witz, welcher bereits in Sammlungen vorlag, bedient hat, wie zeitgenössische Autoren den jüdischen Witz essentialisierten und sein Intellektuell-Zersetzendes dem gesunden deutschen Humor gegenüberstellten und dass zwischen den Kriegen der jüdische Central-Verein das Berliner »Kabarett der Komiker« vor dessen »Selbsthassrede« (Kaplan) warnte, eine Warnung, die die Künstler mit dem Insistieren auf der Kunstfreiheit konterten. Dass ein und derselbe Witz, einmal von Larry David und ein anderes Mal von Lisa Eckhart erzählt, ein ironisch jüdischer und ein barbarisch arischer sein kann, scheint mir als Leitgedanke aber eher wenig aufregend, so dass das Buch tatsächlich viel von einer studentischen Arbeit hat, die den Stein der Weisen entdeckt und um diese Entdeckung herum eifrig Angelesenes und ungelenk Theoretisierendes schichtet: »Die komische Inversion unterstellt, wie die Welt sein könnte, wenn Worte und Dinge miteinander die Plätze tauschen, und erschließt auf diese Weise einen verspielten, fantasiereichen und kontrafaktischen Raum, in dem gelacht wird.« Angelsächsische Universitätsprosa gilt ja als eine, die Verständlichkeit für keine Untugend hält, aber wenn es nicht nach Wissenschaft klingt, ist manchmal einfach keine drin: »Es ließe sich hinterfragen, ob ›innere Vieldeutigkeit‹ ein spezifisch jüdisches Problem ist«, und es ließe sich erst recht fragen, ob innere Vieldeutigkeit überhaupt ein Problem ist. »Und wieder kommt der Dreh ins Spiel, der allen Formen komischer Inversion eigen ist«, falls der Dreh und die Inversion nicht sehr aufs selbe hinauslaufen.

So geht das an die 400 Seiten lang, doch wer geduldig ist und Kaplan weniger als Denker denn als Sammler Aufmerksamkeit schenkt, muss nicht ganz ohne Erkenntnis ins Bett. Dass Salcia Landmanns hochberühmte, halbmillionenfach verkaufte Anthologie »Der jüdische Witz« umstritten war, und zwar genau entlang der Grenze jüdisch/nichtjüdisch, und Friedrich Torberg das Buch als »von Grund auf antisemitisch« und viel eher nachkriegsdeutschen denn jüdischen Bedürfnissen dienlich verurteilte, wusste ich nicht: »Jedenfalls kann einem heutigen deutschen Durchschnittsbürger nichts Besseres passieren, als – noch dazu von jüdischer Seite – bestätigt zu bekommen, dass der Führer auch in diesem Punkt«, das spezifisch Jüdische betreffend, »recht hatte; mit den Bolschewiken und den Autobahnen hatte er’s sowieso …«

Also meinethalben: Drei plus.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, Literaturkritik!

Was ist los mit Dir? Alt geworden? Müde? Wir waren doch so gut aufeinander eingespielt: Du liest ein neues Werk von Raphaela Edelbauer (»Das flüssige Land«, 2019 / »Dave«, 2021), gerätst aus dem Häuschen, schreibst irgendwas wie »sprachlich souverän« und »Raffinesse« und »Kafka« und »enorme Sprachmächtigkeit« und abermals »Kafka«, und wir schauen uns das schwergelobte Werk etwas genauer an und finden lauter wundersame Stellen, die Du wahrscheinlich überlesen hast: »Der ganze Raum zitterte glückselig vor Neid wie ein trotziger Block Aspik« zum Beispiel. Oder: »Selbst wenn jemand bloß geschäftig und zielgerichtet den Gang hinunterging, war sein Streben vom Habitus eines Handgemenges«. Oder: »Da richtete sich Pawel jäh auf, und die Lider waren wie von transparenten Seilen an der Stirn aufgerafft.«

So weit, so gewohnt. Aber jetzt? Erscheint »Die Inkommensurablen«, Edelbauers dritter Roman in knapp dreieinhalb Jahren – und Du, Literaturkritik, versagst plötzlich. Mäkelst rum! Erstmalig! Hältst das zwar alles weiterhin für »glänzend« und »klaren Stil«, meinst aber, dass sich »da und dort kleine Fehler eingeschlichen« hätten; findest das Buch stur »faszinierend«, aber auch »faszinierend misslungen«; attestierst auf einmal »Manierismus«, ja stellst (mit dem Spiegel) die ganz großen bangen Fragen: »Mist oder Musil?«

Heißt das, dass Dir allmählich was schwant? Dass Du Lunte gerochen hast? Verdacht schöpfst? Dass Dir an Sätzen wie »Dessen Reaktion produzierte eine ungeheure Diskrepanz« oder »Junge Charmeure in Militäruniform liefen ein paar Mädchen nach, die sich beim Kaufen einer Brezel aus der Auslage eines groben Böhmen kokett umdrehten« irgendwas auf-, irgendwas missfällt – Du weißt nur noch nicht, was genau?

Und also R. Edelbauer bloß noch sieben oder acht Romane schreiben muss, bist Du in zehn oder elf Jahren auf dem Laufenden bist, was die Sprachmächtigkeit dieser Art von Literatur betrifft?

Na dann – durchhalten!

Wünscht Titanic

 Gute Idee, Porsche-Vorständin Barbara Frenkel …

Sie haben Ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung das (zufälligerweise auch von Porsche produzierte) synthetische Benzin, also E-fuels, subventionieren und somit billiger machen müsse. Denn: »Der Kraftstoff, den wir herstellen, ist viel zu teuer, als dass wir ihn so verwenden könnten.«

Dieser Superidee schließen wir uns gerne an: Wir tippen jetzt jedes Heft auf unseren eigens entwickelten »E-tools« (Kryptotinte), aber weil das doch aufwendiger ist als die Arbeit am PC, fordern wir dann gemeinsam mit Porsche Geld vom Staat, um die Heftkosten zu drücken, ja? Nein? Dann sehen Sie bitte endlich ein, dass Sie sich mit Ihrer ineffizienten Deppentechnologie auf dem Markt nicht durchsetzen werden, und sagen Sie Ihren peinlichen Brummbrumms Lebewohl.

Wünscht Ihnen keine gute Fahrt: Titanic

 Ach, »Welt«,

wohl mangels Materials bewarbst Du online einen sieben Jahre alten Artikel aus dem Archiv, und zwar mit den Worten: »Wenn ihr diese Wörter benutzt, wirkt ihr intelligenter.« Dazu ein wahlloses Foto einer jungen Frau.

Nun wollen wir Dich nicht enttäuschen, müssen aber doch auf einen wichtigen Umstand hinweisen, der Dir anscheinend entgangen ist. Man muss nämlich nicht nur bestimmte Wörter benutzen, um intelligent zu erscheinen, sondern diese auch noch in eine komplizierte Reihenfolge bringen, die oft ganz entscheidend ist.

Dumm für oft Welt hält Journalist/innen: Titanic

 Bssssssssssssss, Bienen!

Bssssssssssssss, Bienen!

In den USA ist gerade ein Impfstoff für Euch freigegeben worden, nämlich gegen die Amerikanische Faulbrut, die Euch seit einer Weile dahinrafft. Nun wollten wir schon höhnen: »Haha, jetzt wird zurückgestochen! Da merkt Ihr mal, wie unangenehm das ist«, doch dann lasen wir die entsprechende Meldung genauer und erfuhren, dass das Vakzin gar nicht injiziert, sondern dem Gelée Royale für Eure Königinnen beigemengt wird. Erschreckend, wie sich wieder einmal die Impfgegner/innenlobby durchgesetzt hat!

Zeichnet somit erst mal keine Beeontech-Aktien: Titanic

 Nice one, Ted Cruz!

Sie sind US-Senator und mittlerweile auch hierzulande als rechter Hardliner und Schwurbelkopf der Republikaner halbwegs bekannt. Derzeit setzen Sie sich für die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für Senator/innen ein. Und wollen gleichzeitig für eine eigene dritte kandidieren.

Diesen Ansatz finden wir sehr vielversprechend, um die Anliegen Ihrer Partei durchzubringen. Sie sollten ihn unbedingt auch auf andere Themen anwenden! Unsere Vorschläge: Waffenniederlegungen gegen schärfere Waffengesetze, Abtreibungskliniken gegen Abtreibungen und offene Grenzen gegen Einwanderung.

Für weitere Tipps stehen jederzeit zur Verfügung:

Ihre Snowflakes von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Post vom Mediator

Beigelegt: ein Streit.

Andreas Maier

 Marktregeln

Leuten, denen es in der Supermarktschlange nicht schnell genug geht und die deshalb eine unschuldige Mitarbeiterin ankeifen, fehlt das nötige Kassenbewusstsein.

Viola Müter

 It’s not a Bug

Als Gregor Samsa, Programmierer, eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett erfreulicherweise zu einem ungeheueren Feature verwandelt.

Christian Kroll

 Medienkritik

Ich kann diese Parfum-Influencer auf Youtube einfach nicht riechen.

Fabian Lichter

 Beim mittelmäßigen Zahnarzt

»Bitte weit aufmachen! Nicht erschrecken, meine Mundhöhlentaschenlampe ist mir vorhin ins Klo gefallen, ich muss eine Wunderkerze benutzen.«

Torsten Gaitzsch

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 24.02.:

    Die Deutsche Welle über das Krieg-Spezial im aktuellen Heft und andere themenverwandte Titel (Artikel in russisch, aut. Übersetzung).

  • 10.02.:

    Spiegel berichtet: "EU-Untersuchung Russland soll Fake-'Titanic'-Titelseiten verbreitet haben"

  • 10.01.: "Der Teufel vom Dachboden" – Eine persönliche Pardon-Geschichte in der Jungen Welt von Christian Y. Schmidt.
  • 13.12.:

    Anlässlich des 85. Geburtstages Robert Gernhardts erinnert Christian Y. Schmidt in der Jungen Welt an den Satiriker und Vermieter.

  • 26.10.:

    Chefredakteurin Julia Mateus spricht über ihren neuen Posten im Deutschlandfunk, definiert für die Berliner-Zeitung ein letztes Mal den Satirebegriff und gibt Auskunft über ihre Ziele bei WDR5 (Audio). 

Sonneborn/Gsella/Schmitt:  "Titanic BoyGroup Greatest Hits"
20 Jahre Krawall für Deutschland
Sie bringen zusammen gut 150 Jahre auf die Waage und seit zwanzig Jahren die Bühnen der Republik zum Beben: Thomas Gsella, Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn sind die TITANIC BoyGroup. In diesem Jubiläumswälzer können Sie die Höhepunkte aus dem Schaffen der umtriebigen Ex-Chefredakteure noch einmal nachlesen. Die schonungslosesten Aktionsberichte, die mitgeschnittensten Terrortelefonate, die nachdenklichsten Gedichte und die intimsten Einblicke in den SMS-Speicher der drei Satire-Zombies – das und mehr auf 333 Seiten (z.T. in Großschrift)!Wenzel Storch: "Die Filme" (gebundene Ausgabe)
Renommierte Filmkritiker beschreiben ihn als "Terry Gilliam auf Speed", als "Buñuel ohne Stützräder": Der Extremfilmer Wenzel Storch macht extrem irre Streifen mit extrem kleinen Budget, die er in extrem kurzer Zeit abdreht – sein letzter Film wurde in nur zwölf Jahren sendefähig. Storchs abendfüllende Blockbuster "Der Glanz dieser Tage", "Sommer der Liebe" und "Die Reise ins Glück" können beim unvorbereiteten Publikum Persönlichkeitstörungen, Kopfschmerz und spontane Erleuchtung hervorrufen. In diesem liebevoll gestalteten Prachtband wird das cineastische Gesamtwerk von "Deutschlands bestem Regisseur" (TITANIC) in unzähligen Interviews, Fotos und Textschnipseln aufbereitet.
Zweijahres-Abo: 117,80 EUR
Titanic unterwegs
21.03.2023 Koblenz, Ganz Ohr Max Goldt
23.03.2023 Köln, Comedia Max Goldt
23.03.2023 Neuruppin, Kulturhaus Martin Sonneborn mit Gregor Gysi
25.03.2023 Meinerzhagen, Stadthalle Martin Sonneborn