Humorkritik | August 2021

August 2021

»Möglicherweise ist Kunst am Ende auch nur eine Art Witz.«
Banksy

Bucks Krull

Thomas Manns letzter Roman, »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«, blieb unvollendet. Von Anfang an als Parodie auf klassische Bildungsromane und eitle Künstlerbiographien angelegt, wurde das Fragment bereits kurz nach Erscheinen zum ersten Mal verfilmt: Thomas’ Tochter Erika Mann hatte am Drehbuch mitgeschrieben, und Horst Buchholz spielte unter der Regie von Kurt Hoffmann die Titelrolle so überzeugend, dass dramaturgische Mängel, die sich aus der fehlenden Konklusio ergeben mussten, nicht weiter auffielen. Jetzt haben Daniel Kehlmann und Detlev Buck versucht, aus dem brüchigen Gewebe einen schlüssigen Filmstoff zu machen. Da ist Skepsis geboten: Schon beider erstes Gemeinschaftswerk, die Umsetzung von Kehlmanns Bestseller »Die Vermessung der Welt«, geriet bieder: Der Autor trieb darin den indirekten Redeweisen seines Romans jeden Charme aus, indem er sie allzu forsch in schulfunkmäßige Dialoge setzte (siehe TITANIC 1/2013).

Aber gab der Fall Krull überhaupt Anlass zur Wiederaufnahme? Waren Bernd Eichingers misslungene Neufassungen deutscher Filmklassiker wie »Die Halbstarken«, »Das Mädchen Rosemarie« und »Es geschah am helllichten Tag« nicht abschreckend genug? Immerhin war der »Krull«-Film bereits bei Ersterscheinen historisch, hatte die Belle Époque 1957 ihren Zeitgeist längst ausgehaucht. Die Ausstattung wirkte schon damals hübsch nostalgisch und ist, immerhin, auch in der Buckschen Fassung sehenswert.

Dabei gab es sogar eine Idee für eine neue Erzählstruktur. Statt sich bekenntnishaft an den Leser oder Betrachter zu wenden, erzählt Krull die Geschichte seiner Liebe zu der reizenden Zaza hier leicht verschleiert seinem Rivalen, dem Marquis Louis de Venosta. Manns unordentlichen Schelmenroman auf diese Dreiecksgeschichte zu konzentrieren funktioniert sogar – bis zu dem Punkt, da Zaza sich, nicht der eigenen Neigung, sondern der (melodramatischen) Vernunft gehorchend, für einen ihrer beiden Liebhaber entscheiden muss. Dummerweise geht der Film aber weiter und beginnt in der letzten halben Stunde eine neue Geschichte, die vom Wechsel zweier Identitäten erzählt, welche, wäre sie ernst zu nehmen, eher an Patricia Highsmiths talentierten Mr. Ripley erinnert. Stattdessen werden, da man an dieser Handlung keinen Anteil mehr nimmt, die Schwächen des Ganzen offenbar: Die behauptete Leichtigkeit wird läppisch, getragen von einem Rinnsal dahinplätschernder Musik, die Helmut Zerlett beinah jeder Szene unterlegt hat. Ein weiteres Problem ist die ohnehin überstrapazierte Voraussetzung der Konstruktion, nämlich die geradezu magische Anziehungskraft der Hauptfigur: Der neue Felix Krull heißt Jannis Niewöhner, er sieht gut aus und gibt sein Bestes – die erotische Strahlkraft des knapp 25jährigen Horst Buchholz ist ihm nicht gegeben.

Einem erfahrenen Regisseur wie Detlev Buck dürfte das klar gewesen sein. Warum er sein Remake nicht gleich um die letzte halbe Stunde gekürzt hat, ist mir deshalb ein Rätsel. Doch da sein »Krull« erst Anfang September in die Kinos kommen soll, wäre noch Zeit, den alten Haudegen zu ziehen und einen beherzten Schnitt zu machen.

  

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Briefe an die Leser

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

Vermischtes

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