Humorkritik | August 2021

August 2021

»Möglicherweise ist Kunst am Ende auch nur eine Art Witz.«
Banksy

Das höllische Büro in Benztown

Dass es im hessischen Rüsselsheim seit nunmehr 28 Jahren ein jährliches satirisches Filmfest, die Rüsselsheimer Filmtage, gibt, ist mir bisher entgangen. Dieses Jahr fand es nicht wie bisher in einem Rüsselsheimer Kino statt, sondern wurde vier Wochen lang online gestreamt, und da habe ich es mir zu Hause einmal angesehen. Und ich werde das künftig wieder tun, denn das Programm hat mir zum größten Teil gut gefallen.

Die zehn dargebotenen Filme sind zwischen einer und siebzehn Minuten lang. Merken sollte man sich mindestens die Verantwortlichen von »Benztown«, »Mann, Manfred« und »Meeting«. »Benztown«, das den mit 5000 Euro dotierten Hauptpreis gewonnen hat, ist ein Animationsfilm, in dem Autos auf verschiedene Weise lustig misshandelt werden, was wirklich eine helle Freude ist; Regisseur Gottfried Mentor hatte offenbar großen Spaß daran, die Abgasschleudern von einem Tunnel auffressen, von Ampeln zusammenschlagen und von einem kleinen Haus als Zigarette missbrauchen zu lassen (wofür das Haus von seinen Haus-Eltern eins hinter die Ohren bekommt). Die fünf Clips sind auf Youtube kostenlos ansehbar, was ich hiermit motorenwarm empfehle.

Mit dreizehn Minuten deutlich länger ist »Mann, Manfred«, und auch er hat seine Meriten, weil Regisseurin Antonia Walther und ihre Co-Drehbuchautorinnen Isabella Kröger und Gesche Loft fernab von klassischen Erzählstrukturen eine erfreulich wirre Geschichte über einen depressiven Loser mittleren Alters namens Manfred Hermann-Mann erfinden, der seine hochgradig unsympathische Familie vergiftet, um »für immer« mit ihr zusammenzusein. Statt im Paradies findet man sich dann aber im Büro des Teufels wieder. Der heißt »Herr Teufel«, ist ein herzerwärmend dröger 90er-Jahre-Bürohengst und tadelt Manfreds Ehefrau fürs Fremdgehen, während der Großvater zugibt, die Firma im Testament nicht dem überforderten Sohn, sondern Beate Zschäpe (»der Kleinen aus’m Fernsehen«) hinterlassen zu haben. Wenn auch nicht jeder Witz gelingt und die Sache manchmal hart albern wird, so schreddert Walther hier ganz nebenbei und bemerkenswert gnadenlos die bürgerliche Familienideologie.

Die wohl professionellste Produktion des Festivalprogramms, der Neunminüter »Meeting« von Jannis Alexander Kiefer, zeigt nichts als eine coronabedingte Zoom-Business-Konferenz. Vier Personen schauen in ihre Laptop-Kameras und halten eine Besprechung ab, in der sich ein arroganter älterer Seniorchef einer (vermutlich) Baufirma sowie sein junger, arg beflissener und offenbar als Gute-Laune-Kasper eingeplanter Assistent mit zwei resoluten Kundinnen über die Details eines Deals verständigen müssen. Sehr gelungen wird Business-Sprech karikiert, Timing und Dialoge sitzen, wir sehen die üblichen Speichelleckereien junger Aufsteiger und die Arroganz moderner Kapitalisten, und am Ende werden nicht wie geplant die beiden jungen Frauen weichgekocht, sondern die zwei Herren in all ihrer Selbstgerechtigkeit. Nur der Gag mit den Urinflaschen hat mir nicht recht eingeleuchtet, aber schauen Sie sich das gerne alles selbst an, oder merken Sie sich das Festival für die nächste Ausgabe im kommenden Jahr. So wie ich.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster