Humorkritik | August 2021

August 2021

»Möglicherweise ist Kunst am Ende auch nur eine Art Witz.«
Banksy

Scheiße oder Denken

Ein »Lachen und Sterben« betiteltes, bei Zsolnay erschienenes Buch fällt doppelt in mein Ressort. Zum einen aus humorkritischen, also erwartbaren Gründen; zum anderen, weil es von Franz Schuh geschrieben wurde, der nicht nur als in der (von A. Heller als »Aphrodisiakum für Nekrophile« bezeichneten) Stadt Wien Geborener ein Experte sein dürfte, sondern v.a. ein interessanter Feuilletonist, mit dem zu befassen ich mir schon öfter vorgenommen hatte.

Was Schuh zum Thema beisteuert, überrascht indes nicht sehr: Sterben ist nicht lustig, unfreiwillig komisch sind allenfalls manche Todesarten und das, was Überlebende so anstellen, z.B. in Todesanzeigen. Der Zumutung des eigenen Todes lässt sich lediglich mit einer Haltung begegnen, die als Galgenhumor bekannt ist: »Das Lachen weist solche Zumutungen von sich und spielt sich im letzten Moment noch für ein wenig Souveränität auf.« Schuh weiß, wovon er spricht, er ist offenbar vor einiger Zeit dem Tod nur knapp entronnen und nach einjährigem Spitalsaufenthalt wieder ins Leben entlassen worden. Vor Krankheit muss man sich viel mehr fürchten als vor dem Tod, lerne ich, aber das hatte ich mir schon selber so gedacht.

Überrascht hat mich hingegen, dass Schuh und ich quasi Kollegen sind: »Humortheoretiker« nennt er sich, in Texten, die inhaltlich locker miteinander verbunden sind und, dem Buchtitel widersprechend, nur selten mit dem Verhältnis Lachen-Sterben zu tun haben. Schuh kennt natürlich Bergsons und Kants Lachtheorien und lässt seine Rhetorik glänzen, präsentiert aber auch Einsichten, die zwischen Banalität und Rätselhaftigkeit schwanken: »Das Lachen ist eine Erlösung, eine Erleichterung, wenn man will, eine Ableitung von Denkprozessen ins Körperliche. Auf Komik kann man nicht verzichten, denn sie hat eine ins Auge springende Geltung, also sollte man es mit einer Komik versuchen, die nicht lachen macht.« Bzw., ganz unelaboriert: »Lachen ist entweder Scheiße oder Denken.«

Es muss Gründe haben, dass Schuh wegen seiner, Obacht: »guillotinemesserscharfen Intelligenz« (Deutschlandfunk) als letzter Überlebender der Wiener Kaffeehaus-Feuilletonisten-Tradition verehrt wird. Die weiß ich durchaus zu schätzen, und auch Franz Schuh, der sich vielleicht nicht zufällig auf Anton Kuh reimt, lese ich nicht ungern. Warum dabei aber oft Unbehagen aufkommt, ist mir bei der Lektüre seines neuen Buches erst so richtig klargeworden. Denn vor allem, wenn man die Texte rasch hintereinander liest, werden die Schuh-Tricks offensichtlich: Der Verführung, die im Doppelsinn und Kalauergehalt der Worte liegt (»Wir Menschen sind einander nie genug. Wir haben schnell genug voneinander«), vermag der Autor ebenso wenig zu widerstehen wie seinem Faible für »das Zusammenspiel der Antithesen«. Was rauskommt, klingt oft sehr gescheit, tendiert aber auch gern ein wenig ins Nebulöse: »Kunst macht ihr Ding, damit sie über den Dingen steht – das ist eine Halbwahrheit, deren andere Hälfte den simplen Anspruch auf Privilegien durchsetzen will.« Aber eben: Kunst macht ihr Ding, und Kunst-, also auch Humorkritik nicht minder. Sollte Letztere Ihrem Anspruch an Stringenz, Kontingenz, Konsequenz, Argumentationslogik usw. diesmal nicht genügen: Ihr Pech. Denn so geht es halt zu bei uns Intelligenz-Guillotinen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Heda, »FAZ«

»Schlechte Politik verhindert Fortschritt« – das stimmt. Aber ist das nicht haargenau die Politik, für die Du immer trommelst?

Fragt schlecht und recht Titanic

 Hä, focus.de?

»Deutschlands Wirtschaft wankt«, berichtest Du und fragst: »Warum will die Ampel das einfach nicht sehen?« Ähem: Vielleicht wird der Bundesregierung da ja schlecht, wenn sie zu genau hinschaut. Hast Du darüber schon mal nachgedacht?

Üble Grüße von Titanic

 Standhaft, brandenburgischer CDU-Landesvorsitzender Jan Redmann!

Sie wurden mit 1,3 Promille Atemalkohol auf einem E-Scooter erwischt und entsprechend zu einer Strafe verdonnert. Daraufhin gaben Sie zu Protokoll, zu »diesem Fehler zu stehen« und die »Konsequenzen, insbesondere die Strafe« zu tragen. Das ist ja geradezu heldenhaft. Wir waren davon ausgegangen, dass Sie den Inhalt des Polizeiberichts leugnen, den Staat um die Strafzahlung prellen und sich ins Ausland absetzen würden.

Hätte dann vielleicht sogar Sympathie für Sie entwickelt: Titanic

 Genau so war es, lieber »Tagesspiegel«!

»Die Trauer um die Mauertoten erinnert uns daran, was es bedeutet, Hoffnung, Mut und letztlich das eigene Leben für ein Leben in Freiheit zu opfern«, mahnst Du am Jahrestag des Mauerbaus. Ja, wer kennt sie nicht, die ganzen Menschen, die die Hoffnung auf ein besseres Leben und den Mut, ihr Leben zu riskieren, längst aufgegeben haben, um dann an der Mauer zu sterben, wiederaufzuerstehen und ein gutes Leben im freien Westen zu führen? Mögen sie und Deine Formulierungsgabe in Frieden ruhen, Tagesspiegel!

Herzliches Beileid schickt Titanic

 It’s us, hi, Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp!

Dass Sie als Verfasser einer Taylor-Swift-Monographie Ihren Gegenstand öffentlich verteidigen, etwa im Deutschlandfunk Nova oder bei Zeit Campus: geschenkt. Allein, die Argumente, derer Sie sich dafür bedienen, scheinen uns sanft fragwürdig: Kritik an Swift sei eine Sache »alter weißer Männer«, im Feuilleton herrsche immer noch König Adorno, weshalb dort Pop und »Kulturindustrie« unentwegt verdammt würden, und überhaupt sei die zelebrierte Verachtung des Massengeschmacks eine ausgesprochen wohlfeile Methode, Distinktion zu erzeugen, usw.

Je nun, Glasenapp: Wir sind in der privilegierten Position, dass es uns erst mal egal sein kann, ob Taylor Swift nun gute Kunst macht oder schlechte. Wir sind da pragmatisch: Manchmal macht das Lästern Spaß, manchmal der Applaus, je nachdem, wer sich gerade darüber ärgert. An Ihnen fällt uns bloß auf, dass Sie selbst so ein peinlicher Distinktionswicht sind! Denn wenn unter alten weißen Männern Swiftkritik tatsächlich Konsens und Massensport ist, dann sind Sie (*1970) wieder nur der eine nervige Quertreiber, der sich abheben will und dazwischenquäkt: Also ich find’s eigentlich ganz gut!

Finden das eigentlich auch ganz gut: Ihre Affirmations-Aficionados von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treehuggers

Bei aller Liebe zum Veganismus: Plant Parenthood geht mir zu weit.

Sebastian Maschuw

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

 Meine Mitbewohnerin

legt Dinge, die nicht mehr so ganz intakt sind, in Essig ein. Dabei ist es egal, ob es sich um verkalkte, schmutzige oder verschimmelte Dinge handelt. Ich würde bei ihr den Verbrauch von Salzsäure in den kommenden Jahren intensiv beobachten – gerade falls ihr Partner unerwarteterweise verschwinden sollte.

Fia Meissner

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit »AKW«

Der Bauer tat sich seinen Zeh
beim Pflügen auf dem AK W.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert
18.09.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella