Humorkritik | März 2007

März 2007

Bonifatius Kiesewetter

Eigentlich wurde die Humorlandschaft des deutschen Kaiserreichs ja schwer von der Kommißkopp-Komik dominiert, die dann im Simplicissimus oder Kladderadatsch ihre Bräsigkeit verströmte: »Herr Geheimrat, ich kann bei der Leiche keinen Magenkrebs finden, nur Blinddarmentzündung.« – »Der Mann simuliert, beobachten Sie ihn mal noch einige Tage.«

Aber es gab auch eine Form der Belustigung, die überhaupt nicht preußisch tugendhaft war: die Verse von Bonifatius Kiesewetter. Diese kamen mir jetzt im Internet neu unter die Augen, und sie wurden – so erfuhr ich dort – nicht nur von einem preußischen Staatsanwalt ausgeheckt, sondern auch in gebildeten Kreisen gerne gehört. Das freilich überrascht, wenn man bedenkt, daß Bonifatius Kiesewetter schon in einer Art Einleitungstext als »das größte Schwein im Land« und gleich darauf noch mal als »das Rübenschwein« vorgestellt wird – übrigens von einer Großmutter, die ihren Enkeln die überhaupt nicht harmlosen Bonifatiusverse als Gutenachtgeschichte serviert.

Bonifatius Kiesewetter ist der Held von »zotigen Unsinnsgedichten provokant obszönen Inhalts«, wie meine Quelle nur wenig tautologisch formuliert. Kiesewetter hat in den dann folgenden strophischen Episoden Verkehr mit Mensch, Tier und Objekt, außerdem zeigt er recht unzeitgemäßen Umgang mit Fäkalien (»Scheiße«), Eigenharn (»Seiche«) und Samenflüssigkeit (»kalte Bauern«). Obwohl er als Repräsentant des Establishments auftritt (etwa als Jurist, Offizier oder Corpsstudent), schert er sich nicht um Comment oder sonstiges kaiserzeitliches Maßregeltum.

Ein Beispiel her? Aber gern: »›Eine Käfersammlung hab’ ich‹, rühmt sich Bonifaz, das Schwein./Zur Besichtigung derselben lud er die Baronin ein./Doch, was sie dort schauen mußte, hat sie wirklich sehr verdrießt:/Filzlaus sah man neben Filzlaus; an die tausend, aufgespießt.« Der Bau der Strophen ist immer gleich: In einem ersten, paargereimten Block erfreut »Bonifaz« sich und seine Umgebung mit den Produkten und Anhängseln seines Unterleibs, bevor unweigerlich eine kurze »Moral und christliche Nutzanwendung« folgt. Diese zieht aber nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, Bonifatius (»der bekannt war wie ein Schwein«) die Moralkeule über, sondern parodiert lakonisch zeitgenössische Benimmregeln: »Der Kenner sammelt Naturalien/nicht lediglich an Genitalien.«

In manchen Fällen leistet die »Nutzanwendung« sogar eine Art von Überbietungskomik, indem sie den obszönen Aspekt der Geschichte auf eine banale Vorschrift zurückbricht und damit eine zweite Fallhöhe anbietet: Auf die Verse »Plötzlich sieht man Bonifatius, da der Nußknacker verlegt,/wie er mit dem Piephahn, lächelnd, eine harte Nuß zerschlägt« folgt beispielsweise die (eigentlich gesittete) Moral: »Hast du den Nußknacker vergessen,/sollst du keine Nüsse essen.« Dem komischen Ertrag kommt ebenfalls zugute, daß das ehrenrührige Verhalten Kiesewetters gerne mit ausgesuchtem Vokabular kontrastiert wird: »Es bietet nie der feine Mann/zum Gruße sein Geschlechtsteil an.«

In ihrer Verbindung von strenger Sprachform und zotigem Inhalt stehen die Bonifatiusverse in direkter Verwandtschaft mit den Episoden um die Bewohner des »Wirtshauses an der Lahn«, und Ror Wolf nutzte dieselbe Technik, als er Hans Waldmann in den gleichnamigen Moritaten unter die Baronin schickte.

Wenngleich ich seit Günter Grass keinen besonderen Gefallen an Unterleibslyrik mehr finde, meine ich doch, daß sich die Kiesewetterschen Eskapaden wohltuend vom sonstigen Pokulieren und Kopulieren gleichalter Corpslyrik abheben; und besonders wegen der komischen »Moral und christlichen Nutzanwendung« jedem Lachwilligen sehr ans Herz und in die Hand gelegt seien.

 

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick