Inhalt der Printausgabe

August 2005


Humorkritik
(Seite 7 von 9)

Wieder das Vergessen
Sie werden sich vielleicht darüber wundern, daß auf diesen Seiten bisher nie die humoristische Erzählung "Bertram Vogelweid" von Marie von Ebner-Eschenbach Erwähnung fand. Nun, dann sind Sie vermutlich der einzige - für alle, die Ihre Verwunderung nicht teilen können, möchte ich dies Nebenwerk der späten Ebner, geschrieben in den 90er Jahren des vorletzten Jahrhunderts, dem wohlverdienten Vergessen kurz entreißen, denn an der Geschichte Bertram Vogels, der unter dem Künstlernamen "Vogelweid" publiziert, läßt sich trefflich exemplifizieren, woran ein Autor, der es komisch meint, scheitern muß, wenn er den Mut nicht hat, seiner Ausgangssituation unter allen Umständen die schlimmstmögliche Wendung zu geben.
Vogelweid, der überbeschäftigte Wiener Feuilletonist - er hat regelmäßig Kritiken, Glossen und gleich zwei wöchentlich fortgesetzte Romane zu verfassen - bereitet seinen Rückzug aufs Land vor, wo er sich ein neues Leben erträumt: ein bukolisches Dasein nach Gutsherrenart, vor allem: "Ruhe vor der Literatur". Was er stattdessen in den böhmischen Dörfern bei seinen Gastgebern und Gönnern vorfindet, klingt zunächst vielversprechend: Der Herr des Hauses hat ein rüpelhaftes Lustspiel verfaßt, seine Gemahlin wird ihrer schriftlichen Ergüsse wegen von einem schurkischen Verleger erpreßt, der Sohn hat eine dekadente Novelle hingerotzt, die Tochter schreibt Lyrik im Kempner-Stil, der Hauslehrer verfaßt antisemitische Hetzparolen, sogar der alte Diener verlangt vom verehrten Vogelweid literarischen Beistand in Form einer Eloge auf die Silberhochzeit des Verwalters. Als sich herausstellt, daß selbst das von Vogel verehrte Mündel versucht hat, ihm ihr lyrisches Werk unter Pseudonym zur Veröffentlichung anzudienen, er aber dasselbe ungelesen mit dem harschen Rat, die Verfasserin möge sich lieber "eine Nähmaschine" kaufen, retourniert, ist die Katastrophe eigentlich fest programmiert - daß sie nicht stattfindet, weil sich alle hitzigen Ambitionen durch ein paar gutgemeinte Rufe zur Vernunft in laue Luft auflösen lassen, läßt die komische Konstruktion zusammenkrachen. Was bleibt, ist Gartenlaube: Die dilettierenden Familienmitglieder leisten mehr oder weniger Verzicht auf weitere literarische Versuche, die Geliebte verzeiht dem Helden sein barsches Nein- und gibt ihm ihr Jawort, sogar der politisierende Hauslehrer wird reibungslos entsorgt. Nur den Diener und sein Anliegen hat die Autorin offenbar schlicht vergessen.
Wer sich daran erinnern mag, was etwa Dostojewskij aus provinziellen Literaturveranstaltungen für katastrophale Konsequenzen zieht, kann ermessen, warum ich vorschlage, Ebners "Bertram Vogelweid" ganz schnell wieder zu vergessen.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann