Inhalt der Printausgabe
August 2005
Humorkritik (Seite 2 von 9) |
Lustige Marktwirtschaft |
Es bedurfte weißgott keines Franz Müntefering, um mich über das Wesen des Kapitalismus aufzuklären, hingegen einer Inge Horstmann, um mir anschaulich zu machen, wie es auch anders geht, zumal zu Zeiten des sog. Wirtschaftswunders. Im 1948er Jahr überreichte jene Angestellte eines Berliner Versicherungsunternehmens dem "verehrten Chef, in Dankbarkeit" eine von ihr höchstselbst gezeichnete und getextete Schrift mit dem hübschen Titel "Das ›Lied von der Arbeit‹ oder ein Tag im Dienst der A.G.", die sich irgendwann in einem Antiquariat wiederfand und nun dankenswerterweise auch zwischen zwei Buchdeckeln (Limmat Verlag) findet. Darin singt Frau Horstmann (von der wir außer den von mir repetierten über keinerlei weitere Informationen verfügen) auf anmutige Weise nicht nur ein Lied, sondern das Hohelied vom idealen Arbeitgeber, einem gottähnlich strengen und gleichwohl gütigen Patriarchen, der den mustergültigen Gegenpol zu Ackermann & Co. verkörpert: "Ruhig, sicher, imponierend, / mit fester Hand die Zügel führend, / unermüdlich Tag und Nacht / aufs Wohl der Firma nur bedacht - / Respekt sich schaffend - ohne Schelten! - / ein Vorbild seinen Angestellten." Kein Wunder, daß letztere dann nicht mehr egozentrisch an Tarifforderungen denken, sondern sich hochmotiviert ausbeu …, pardon: "vereint in heftigem Bemüh'n, / recht viel und günstige Policen / für ihre Firma abzuschließen" auch bis in den frühen Morgen zur Arbeit anhalten lassen - "voran - von Kopf bis Fuß ›oho‹! - Die Sekretärin ›comme il faut‹", vermutlich Mme. Horstmann herself. Was da an Kästner, Busch und Eugen Roth "geschult" einherrumpelreimt und zweifellos eher ergeben-bewundernd denn komisch wirken sollte, zeigt uns plastisch, wie und warum Deutschland wurde und blieb, was es ist, und war genauso wenig satirisch gemeint wie Müntes Heuschreckenphilippika. Dafür aber ist es zumindest, um eine andere Inflationsvokabel zu gebrauchen: authentisch. |
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