Inhalt der Printausgabe
Dezember 2002
Wie Siegfried Unseld einmal zu Grabe getragen wurde (Seite 6 von 9) |
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Heute würde ich die Rechnung begleichen! Live! Meine Hand klammerte sich fester um den Griff. Doch der Gelschrank ließ mich nicht in Grabesnähe. Tatenlos mußte ich zusehen, wie die schwarze Witwe sich wie eine Gartenskulptur minutenlang vor dem gerade versunkenen Sarg aufbaute. Ja, das hatte sie drauf! Hinter ihr schluchzte der Lektor. Ihr seid selber schuld, dachte ich, ihr habt es selbst so gewollt. Während die Berkéwicz-Sippe sich ostentativ trauernd am Grab zu schaffen machte und, so gut es ging, den Unseld-Clan auf Distanz hielt, kam Bewegung ins nun einlaufende Mittelfeld. Wer würde es zuerst ans klaffende Loch schaffen? Wer zuerst die Erde hinterherwerfen? Plötzlich prescht - zack! - ohne jede Vorwarnung Durs Grünbein nach vorne! Der zarte, düstere Durs! Dursi! Dieser scharfsinnige, ja geniale Dichter, mit dem, so heißt es, Unseld die in Auflösung befundene DDR-Literatur buchstäblich im letzten Moment notgeadelt, auf Suhrkamp-, ja auf Weltniveau gehievt hat. Da stand er nun, dieser fabelhafte, dieser feinnervige DDR-Durs und durfte, Überraschung, Überraschung: ein Gedicht von Hesse aufsagen. Die "Stufen", Unselds absolutes Lieblingsgedicht. Durs hatte es einwandfrei auswendig drauf, und nachdem er die Worte "Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!" gesprochen |
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