Inhalt der Printausgabe
Dezember 2002
Wie Siegfried Unseld einmal zu Grabe getragen wurde (Seite 1 von 9) |
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Der Karren mit dem Sarg kam rausgefahren, und ich versuchte, ihm zu folgen. Nochmal wollte ich mich nicht abschütteln lassen. Nicht schon wieder. Unseld war gestorben, und das Leichenbegängnis auf dem Frankfurter Hauptfriedhof in vollem Schwange. Die sterbliche Hülle eines historischen deutschen Ausnahmeverlegers wurde zu Grabe getragen; obwohl "gekarrt" ja der richtigere, der treffendere Ausdruck gewesen wäre - ein Ausdruck, den Siegfried Unseld unbedingt gebilligt, von seinen Autoren sogar gefordert hätte, er, Unseld, der die weltberühmte "Suhrkamp-Kultur" erfunden hatte. Die Veranstaltung in der Trauerhalle wurde von Lautsprechern kostenlos ins Freie übertragen. Ein Notarztwagen stand aufgeklappt neben der Halle bereit, um Unselds Beispiel Folgende oder jenen im Falle seiner plötzlichen Wiederauferstehung erstzuversorgen. Alles unter Kontrolle. Da stand die große Zuschauerschar und sonnte sich. Ich war nicht in die Halle gekommen, wahrscheinlich ahnte man schon etwas. Zu Türstehern beförderte Mitarbeiter der Suhrkamp-Insel-Verlagsgruppe regelten argwöhnisch den Parteienverkehr: Es kamen nur Leute rein, die entweder mit Unselds Witwe Ulla verwandt waren oder mit Unseld selbst, wie zum Beispiel sein berühmter Sohn Joachim, dann noch einige Leute, zu Schriftstellern aufgestiegene Autoren, die allesamt die große Ehre gehabt hatten, von Siegfried Unseld persönlich verlegt, gedruckt und bezahlt worden zu sein. Eine Ausnahme machte man nur beim Kanzler und der Oberbürgermeisterin, die es einfach nicht mehr geschafft hatten, rechtzeitig zur Trauerfeier ein Suhrkamp-Buch zu schreiben. | |
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