Inhalt der Printausgabe
November 2001
Wir sind ein New Yorker oder: Solidarität lebt vom MItmachen (Seite 4 von 7) |
Das kann dem stämmigen Mittfünfziger, der im Hintergrund wiederum auf Tietze einquallt, nicht passieren, denn die paar Haare, die noch am Hinterkopf kleben, sind dunkel. Statt den Fragebogen ordnungsgemäß auszufüllen und sich mit seiner Frau fotografieren zu lassen, wie es beider solidarische Pflicht wäre, ist er offenbar an der Frage "Welches Land ist Ihnen verdächtig?
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a) Afghanistan, b) Pakistan, c) Polen, d) Sachsen-Anhalt, e) USA" gescheitert und schimpft: "Ich kann den Fragebogen nicht ausfüllen! Der ist ja voller Vorurteile, das ist ja fürchterlich! Was für ein Klima soll denn da entstehen?!" Wie das ausgerechnet Tietze wissen soll, der mit niemand so wenig Ähnlichkeit hat wie mit Jörg Kachelmann, ist dem engagierten Zeithistoriker egal: Nach Tietzes in versierter Hilflosigkeit hervorgestammeltem Einwand, das alles sei "doch schon ein bißchen differenziert, irgendwie", bricht sein Gegenüber einen längeren Vortrag über PLO, Christentum, den Dreißigjährigen Krieg und den Kalifen von Bagdad vom Jägerzaun und gibt erst Ruhe, als er fertig ist. Tietze ist ein kluger Mann und gibt nach einigen erfolglosen Versuchen der Widerrede recht. Mit fatalen Folgen: "Beide schauen mich ungläubig an", wird der Münsteraner später zu Protokoll geben. "Sie lachen triumphierend und gleichzeitig etwas verächtlich, als sähen sie jetzt erst, was für ein Schwachkopf und kaum satisfaktionsfähiger Kontrahent ich eigentlich bin, und verabschieden sich mit einem mitleidigen Lächeln. So etwas ist den beiden nämlich noch nie passiert! So was passiert im alltäglichen Streit über politische Dinge ja überhaupt und generell nie: der rationale Habermassche Konsens, die Kraft des besseren Arguments im herrschaftsfreien Diskurs: ›Da haben Sie wahrscheinlich recht, ich muß noch mal nachdenken‹ - es war wie Ostern und Sonntag gleichzeitig!" Er muß es ja wissen. |
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